Wissen/Gesundheit/Gesund

Gen-Test zeigt, ob Chemotherapie notwendig ist

Chemotherapien sind belastend – und nicht immer ist ganz klar, ob sie wirklich notwendig sind. In Zukunft könnte Letzteres aber deutlich seltener der Fall sein: Am Wiener AKH / MedUni Wien werden seit Kurzem bei bestimmten Brustkrebspatientinnen routinemäßig sogenannte "prognostische Gentests" eingesetzt: Das Ergebnis gibt Aufschluss darüber, ob eine Patientin die Chemo wirklich benötigt.

Die Tests werden bei einem Teil jener Patientinnen nach den Wechseljahren eingesetzt, deren Tumorwachstum durch Östrogene (weibliche Sexualhormone) stimuliert wurde. Sie bekommen im Anschluss an die chirurgische Tumorentfernung eine "antihormonelle Therapie". Diese soll die Bildung und Wirkung von Östrogenen blockieren und so das Wachstum hormonempfindlicher Tumorzellen verhindern. Der Gentest gibt Aufschluss darüber, wie hoch das Risiko ist, dass die Patientin einen Rückfall erleidet – und der Tumor wiederkehrt.

50 Gene

"Wir messen mit diesem Test die Aktivität von 50 Genen des Tumors, welche an- und welche abgeschalten sind", so Molekularbiologe Univ.-Prof. Martin Filipits (Institut für Krebsforschung der MedUni Wien). "Es ist wie bei einem Puzzle mit vielen Teilen: Ein Teil – also ein Gen – reicht da nicht aus, um das Bild zu erkennen. Aber wenn ich die wichtigsten Teile – die wichtigsten Gene – sehe, kann ich daraus das Gesamtbild des Tumors erkennen", so Filipits.

Und dieses zeigt: "Zirka zwei Drittel der getesteten Patientinnen haben ein niedriges Risiko für ein Wiederauftreten der Erkrankung – und benötigen keine Chemotherapie." Damit könnten unsinnige und belastende Therapien eingespart werden. "Das Weglassen einer Therapie ist mindestens genauso wichtig wie das Anwenden einer Therapie", sagt Univ.-Prof. Michael Gnant (stv. Leiter des Comprehensive Cancer Center (CCC) von MedUni Wien und AKH Wien und Chef der Wiener Uniklinik für Chirurgie).

"Wir können heute das Gesicht des Feindes immer besser charakterisieren und Therapien immer besser maßschneidern", so Gnant. Und das werde notwendig sein: 600 Krebs-Medikamente sind in Entwicklung – "viele davon teurer als das, was wir derzeit haben. Nur wenn wir sagen können, bei wem ein Medikament wirkt, werden wir auch die Kosten rechtfertigen können."

Jackpot

Die Unterdrückung der Östrogenproduktion durch die Anti-Hormontherapie führt zwar zum Rückgang des Tumors, macht aber auch die Knochen brüchig. Univ.-Prof. Josef Penninger (heute Leiter des Instituts für molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) hat in den 90er-Jahren in Mäusen jenes Protein (Eiweiß) entdeckt, das für den Knochenabbau verantwortlich ist: "Wir hatten den Jackpot geknackt."

Penninger entwickelte einen Antikörper, der dieses Protein blockiert. Im Frühjahr zeigte eine Langzeitstudie des österreichischen Brust- und Darmkrebs-Forschungsnetzwerkes (ABCSG): Mit jährlich zwei Injektionen dieses Biotech-Osteoporosemedikaments Denosumab kann die Zahl der durch die Anti-Hormontherapie verursachten Knochenbrüche halbiert werden: "Und das praktisch ohne Nebenwirkungen – das ist moderne Präzisionsmedizin", sagt Chirurg Gnant.

Im Dezember sollen erstmals Daten vorliegen, ob mit dem Präparat nicht nur die Zahl der Knochenbrüche, sondern auch das Auftreten von Metastasen reduziert werden kann.

Grundlagenforschung

Alle Inhalte anzeigen
Alle drei Forscher beklagen den geringen Stellenwert von Forschung in der österreichischen Bevölkerung. Gnant: "Wenn man in Österreich eine Umfrage unter Passanten macht, ,profitieren Sie persönlich von Forschung?‘, dann sagen rund 35 Prozent ,na ja, vielleicht‘, und alle anderen ,nein‘. Aber noch nie war die Grundlagenforschung so nahe an der unmittelbaren Anwendung wie heute."

CANCERSCHOOL: Das Cancer Center von MedUni Wien und AKH Wien organisiert für alle Interessierten Basis- und Aufbaukurse zum Thema "Krebswissen". Infos: www.cancerschool.at