Was Jugendliche später zu Koma-Säufern macht
Von Ingrid Teufl
Warum trinken sich manche Jugendliche regelmäßig in die Bewusstlosigkeit, andere hingegen nicht? Diesen Fragen gingen kanadische und irische Forscher in einer großangelegten Studie nach. Mit umfangreichen Untersuchungen und Tests fanden sie 40 Faktoren, die darauf hinweisen, dass die Teenager in den nächsten beiden Jahren zu Komasäufern werden. Dazu zählen neben genetischen und sozialen Gründen auch Persönlichkeitsstruktur, Impulsivität, Hoffnungslosigkeit, Sensationshungrigkeit oder der Mangel an Pflichtbewusstsein.
Die Treffsicherheit dieser Kriterien lag bei 70 Prozent. Die vom europäischen Forschungs-Konsortium IMAGEN getragene Studie wurde jetzt im Magazin "Nature" veröffentlicht. Die Forscher der Universitäten Montreal und Vermont sowie dem University College und dem Trinitiy College in Dublin untersuchten dafür 2.400 14-Jährige aus ganz Europa.
Überprüft mit MR-Untersuchungen
Um ihre Gehirnstruktur und -funktion sowie die festgestellten Faktoren zu überprüfen, mussten sich die Studienteilnehmer auch Magnetresonanzuntersuchungen unterziehen. Mit Hilfe dieser bildgebenden Verfahren konnten die Forscher darstellen, wie das Gehirn der Jugendlichen auf Einflüsse von außen - etwa Belohnungen - reagiert. Denn Alkohol wirkt sehr stark auf das Belohnungssystem, weiß man aus der Alkoholikerforschung. Ebenso wurden den Probanden wütende Gesichter gezeigt, um ihre emotionalen Reaktionen zu messen. Das Team um Studienleiterin Patricia Conrod (University of Montreal) stellte anhand dieser Untersuchungen fest, dass bestimmte Hirnwindungen im vorderen Bereich des Großhirns am stärksten auf eine Wahrscheinlichkeit zum Komasaufen hinweisen. So zeigten die Jugendlichen mit hohem Risiko weniger graue Zellen - ein wesentlicher Teil des Zentralnervensystems, der in der Gedächtnisleistung eine Rolle spielt. In den vorderen Gehirnwindungen zeigte sich jedoch vermehrte Aktivität, wenn sie belohnt wurden.
Kompensation
Viele der identifizierten Faktoren sind auch Artur Schoers, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Suchtprävention (ISP) in Wien bekannt. „Gefühle wie Hoffnungslosigkeit oder Impulsivität können schnell zu Stress führen. Die Folge ist, dass das Verhalten kompensiert wird – häufig durch Alkohol." Aus seiner Sicht lasse sich aber allein mit einer derartigen Liste ein möglicher späterer Komatrinker nicht herausfiltern. „Auch wenn mehrere Faktoren das Risiko erhöhen, geht es immer um das Zusammenspiel in der jeweiligen Lebenssituation. Die kann sich gerade bei Jugendlichen sehr schnell ändern. In diesem Alter ist der soziale Einfluss sehr groß.“ Freunde sind etwa ein wesentlicher Faktor. „Innerhalb kürzester Zeit kann sich die Gruppe und damit ihre Verhaltensnormen ändern. Das ist ein sehr dynamischer Prozess.“
Auch die Autoren der Nature-Studie wollen ihre Erkenntnisse nicht falsch verstanden wissen. Diese weisen nicht darauf hin, dass die Neigung zum Komatrinken sozusagen im Gehirn verankert sei. Sie könnten aber in Schulen oder anderen Jugendeinrichtungen beitragen, bei Betroffenen schon früher gegenzusteuern, sagt Studienautorin Conrad. „Früher Alkoholkonsum steht in starkem Zusammenhang mit Alkoholabhängigkeit bei Erwachsenen. Jedes Jahr, in dem wir den Alkoholkonsum hinauszögern können, reduziert die Wahrscheinlichkeit, später alkoholkrank zu werden, um zehn Prozent.“
Sie betont, dass die Erkenntnisse nicht aussagen, dass Komasaufen im Gehirn verankert ist. Sie könnten jedoch Institutionen, die mit Jugendlichen arbeiten, helfen, jene mit hohem Risiko schon früh zu helfen. Denn eines sei klar, so Patricia Conrad. "Früher Alkoholkonsum steht in starkem Zusammenhang mit Alkoholabhängigkeit bei Erwachsenen. Jedes Jahr, in dem wir den Alkoholkonsum hinauszögern können, reduziert die Wahrscheinlichkeit, später alkoholkrank zu werden, um zehn Prozent."
Das unterstreicht auch Schoers. Statistisch gesehen können sich problematische Konsummuster in der Jugend durchaus später auswirken. In der Präventionsarbeit geht es daher vor allem darum, Risikofaktoren in Schutzfaktoren umzuwandeln. „Dafür muss man aber erst mit Teenagern ins Gespräch kommen.“ Das machen (jugendliche) Präventionsteams übrigens sogar auf dem Fußballplatz, wie etwa im Projekt „VOLLFAN statt voll fett“ mit den Wiener Fußballclubs Rapid und Austria. Da geht es darum, „Alkohol einmal anders zu betrachten und Normvorstellungen zu hinterfragen.“ Frei nach dem Motto: „Schaut euch nicht alles ab. Schaut lieber mehr auf eure eigenen Bedürfnisse.“
Gehirn
Das Gehirn ist erst mit 18 Jahren vollständig entwickelt. Durch Alkoholkonsum in jungen Jahren werden Gehirnzellen unwiederbringlich zerstört und Denkprozesse können sich verlangsamen.
Körpergefühl
Jugendlichen fehlt häufig ein Gefühl für sich, ihren Körper und ihre Grenzen. Dazu kommen falsche Meinungen über die Alkoholwirkung.
Nervensystem
Es reagiert noch sensibler, das typische Rauschverhalten fehlt häufig noch. Schon mit 0,5 Promille Alkohol im Blut können Kinder durch Unterzuckerung bewusstlos werden, die Reflexatmung setzt aus.
Gewicht
Je geringer das Körpergewicht, desto höher ist der Alkoholspiegel im Blut. Bei Schulkindern können drei Gramm Alkohol je Kilo Körpergewicht tödlich sein.