Unbezahlte Praktika: Warum Studierende häufig Gratisarbeit leisten
Von Ornella Wächter
„Ich mache gerade ein Praktikum.“ Diesen Satz hört man unter Jungen in ihren Zwanzigern ständig. Das erste Praktikum erfolgt oft schon in der Schulzeit, wo im Sommer Ferialjobs, die sich als Sommerpraktikum tarnen, angenommen werden, um etwas Taschengeld zu verdienen. Im Studium macht man sie, um praktische Einblicke über Gelerntes zu bekommen, oft sind sie aber auch Teil des Lehrplans und für einen Studienabschluss verpflichtend.
Selbst Graduierte nehmen noch Stellen als PraktikantInnen an, um so in einem Unternehmen Fuß fassen zu können. Im Grunde aber sind Praktika für alle Studierende essenziell – und müssen nicht erst im Lehrplan eines Studiengangs verankert sein. Denn Praktika versprechen erste Einblicke ins Arbeitsleben und in nahezu jeder Stellenausschreibung wird Berufserfahrung erwartet. Sogar, wenn es sich lediglich um ein Volontariat, also ein unbezahltes „Hineinschnuppern“ in einen Beruf handelt.
"Viele beißen in den sauren Apfel"
So setzt beispielsweise eine Wiener PR-Agentur in ihrem Inserat für ein viermonatiges Volontariat „berufliche Erfahrung“ voraus, bietet im Gegenzug aber nur eine „freiwillige Aufwandsentschädigung“. Beworben wird sich auf solche Stellen trotzdem – eine viermonatige Lücke im Lebenslauf wäre schlimmer.
„Viele Studierende beißen lieber in den sauren Apfel“, sagt Boris Ginner, bildungspolitischer Referent der Arbeiterkammer Wien. „Sie wissen, Praktika sind ein Sprungbrett in die Arbeitswelt, sie können Kontakte knüpfen, erhalten praktische Erfahrung und wissen bestenfalls, in welche Richtung es sie zieht.“ Allerdings würden Arbeitsplätze allzu oft durch GratispraktikantInnen ersetzt, die den Unternehmen helfen, Gewinne zu erwirtschaften, kritisiert Ginner.
Praktika: 24 Prozent sind unbezahlt
Laut der Studierenden-Sozialerhebung 2019 hatte rund die Hälfte aller Studierenden von Universitäten und Fachhochschulen Praktikumserfahrung, etwa 24 Prozent unbezahlt. Eine Studie der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (Forba) die von der Arbeiterkammer Wien, der Gewerkschaft GPA, sowie der Österreichischen Hochschüler*innenschaft in Auftrag gegeben wurde, befasst sich erneut mit der österreichischen Praktikumslandschaft.
„Unsere Studie zeigt auf, wie ambivalent die Praktikumsthematik ist“, sagt Hubert Eichmann, einer der Studienautoren. „Dass PraktikantInnen prekär beschäftigt sind, stimmt in vielen Fällen – aber eben nicht immer. Es gibt es auch Arbeitsfelder mit guter Bezahlung.“ Selbst wenn die Bezahlung mangelhaft ist, fallen die Einschätzungen der in der Studie interviewten Studierenden überwiegend positiv aus.
Was der Experte damit erklärt, dass sich ein Praktikum für viele Studierende anders bezahlt mache. Wichtiger sei inhaltliche Qualität oder gute Betreuung. Andere könnten auf die finanzielle Unterstützung der Eltern zählen. „Die Ausgangssituationen sind extrem unterschiedlich.“
Wochenlange Gratisarbeit
Leokadia Grolmus, 23, absolvierte ihre Praktika ebenfalls unbezahlt, in ihrem Fall waren sie verpflichtend. Um ihren Bachelor in Sozialer Arbeit an der FH Campus Wien abzuschließen, sind zwischen 16 und 20 Wochen Pflichtpraktikum vorgeschrieben. „Ich habe als Praktikantin in einer Frauenberatungsstelle in Wien und in der Slowakei in einer Organisation für Wohnungslose und HIV-Betroffene gearbeitet“, erzählt sie im Gespräch. Beide Jobs waren unbezahlt.
Leisten konnte sie sich Grolmus nur deshalb, weil sie neben ihrem Studium Teilzeit als Betreuerin in der Wohnungslosenhilfe arbeitet. Ihre bezahlten Urlaubstage brauchte sie für die unbezahlten Pflichtpraktika auf. Vielen ihrer StudienkollegInnen gehe es ähnlich, so Grolmus. Um nach monatelangen unbezahlten Pflichtpraktika noch die Miete zahlen zu können, müssten viele nebenbei jobben, nicht selten am Wochenende – oder monatelang sparen.
#ZukunftPraktikum
Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, startete Grolmus, die auch Studierendenvertreterin an ihrer Hochschule ist, im April die Petition #ZukunftPraktikum. Sie fordert für StudentInnen im Gesundheits- und Sozialbereich eine Entlohnung von mindestens 950 Euro im Monat.
Experten sind in Bezug auf den Nutzen von Praktika zwiegespalten. So schreiben auch die AutorInnen der Forba Studie, dass Praktika einerseits „dem Bedarf nach niederschwelligen Arbeitserfahrungen entsprechen“, sie aber auch „dem Verdacht von Gratisarbeit bzw. der Umgehung von arbeits- und sozialrechtlichen Standards ausgesetzt“ sind.
Das österreichische Arbeitsrecht kennt keine PraktikantInnen
De facto gibt es im österreichischen Arbeitsrecht die Anstellungsform „PraktikantIn“ nicht. Ob ein Pflichtpraktikum bezahlt wird oder nicht, hängt laut Arbeiterkammer davon ab, ob es sich um ein Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis handelt.
Steht ein Arbeitsverhältnis im Vordergrund, gelten alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen wie Entlohnung, Urlaubsanspruch und Arbeitszeitregelungen. Ist es die Ausbildung, gebührt kein reguläres Arbeitsentgelt. Ob ein Taschengeld ausgezahlt wird, unterliegt der freien Vereinbarung.
Die Bezahlung von der groben Unterteilung zwischen Arbeits- und Ausbildungsverhältnis abhängig zu machen, will die Studentin Grolmus allerdings nicht gelten lassen. „Es kann nicht sein, dass Studierende im Gesundheits- und Sozialbereich nicht gezahlt werden, während Pflichtpraktika von Studierenden anderer Departments an derselben FH kollektivvertraglich geregelt sind.“
Bezahlung auch branchenabhängig
Tatsächlich hängt es von der jeweiligen Branche, aber auch von Betriebstypen ab, ob Pflichtpraktika kollektivvertraglichen Bestimmungen unterliegen. Der Forba-Studie zufolge agieren vor allem attraktive Leitbetriebe vorbildlich, Praktika im technischen oder produzierenden Bereich werden meist analog zur Lehrlingsentschädigung bezahlt.
„Die Bezahlung für PflichtpraktikantInnen im Bauingenieurswesen liegt bei 1.052 Euro brutto und ist kollektivvertraglich geregelt“, berichtet auch Claudia Link, Studiengangsleiterin Bauingenieurwesen – Baumanagement der FH Campus Wien. Betriebe in Sektoren wie Medien, Marketing, Kultur, Gesundheit und Soziales bilden der Studie zufolge den Gegenpol. Hier winkt oft mäßige bis gar keine Bezahlung.
Praktika oft befristete Arbeitsverhältnisse
„Bei Pflichtpraktika handelt es sich in fast allen Fällen um befristete Arbeitsverhältnisse“, sagt Ginner. „PraktikantInnen halten sich an Arbeitszeiten, arbeiten weisungsgebunden und oft als vollwertige MitarbeiterInnen einer Organisation.“ Der „Wildwuchs an Begrifflichkeiten“ (siehe Kasten rechts) gehöre daher entwirrt und es sollte genauer in das „Beschäftigungskonstrukt“ Praktikum hineingeschaut werden, inwiefern es den Kriterien eines Arbeitsverhältnisses entspricht.
Das Praktikum als neue Anstellungsform ins Arbeitsrecht aufzunehmen, würde dem Missstand aber nicht entgegenwirken, glaubt Christian Hofmann von der Gewerkschaft der Privatangestellten. „Es würde die Dienstverhältnisse junger Menschen nur weiter prekarisieren.“ Bereits jetzt seien Junge doppelt so häufig von befristeten Dienstverträgen betroffen, ein Praktikum würde die Dauer unsicherer Arbeitsverhältnisse nur noch weiter ausdehnen.