Wirtschaft/Karriere

Second-Hand-Händler: „Wir geben Dingen ein zweites Leben“

Immer wieder mit denselben Schuhen, derselben Krawatte und demselben Jackett fotografiert zu werden, stört selbst einen Thronfolger nicht. Er sei eben „picky“, wählerisch, wenn es um seine Kleidung gehe, verriet Prinz Charles unlängst der britischen Vogue. Dass er sämtliche Kleider auch beim Schneider wieder flicken lässt, verschaffte ihm schließlich den Titel „King of Recycling“.

Mit dieser Einstellung ist er unter den Royals nicht der Einzige – hier wird seit Langem die Tradition gepflegt, Festkleider an die nachfolgende Generation weiterzugeben. So trug auch Prinzessin Beatrice im Juli bei ihrer Hochzeit mit Edoardo Mapelli Mozzi ein aufgepepptes Hochzeitskleid ihrer Großmutter aus den 60er-Jahren.

Gebrauchtes ist schick

Auch jenseits der Adelspaläste ist Vintage in Mode. „Früher war es für viele eine Schande, Gebrauchtes oder Altes zu kaufen“, sagt Evelyn Oberleiter, Geschäftsführerin des Terra Institutes, welches u. a. Unternehmen dabei berät, ihre Organisation ökologischer zu gestalten. „Doch inzwischen hat ein Wertewandel stattgefunden. Es ist schick, nicht immer nur Neues zu kaufen, sondern vor allem Altes, bestenfalls mit hohem Wert.“

Dass die Nachfrage da ist, sieht man vor allem in Städten: Second-Hand-Läden sind mittlerweile fester Bestandteil der Einkaufsstraßen. Getragene Kleider, gebrauchte Möbel oder Spielzeug aus zweiter Hand zu kaufen und wieder zu verwenden, ist massentauglich geworden. „Unter Konsumenten erleben wir einen großen Nachhaltigkeitsschub“, bestätigt auch Oberleiter. „Menschen achten zunehmend darauf, was sie kaufen. Sie wollen lieber weniger Produkte, die dafür länger verwendbar sind.“

Von allem zu viel

Heute gibt es von fast allem zu viel. Allerdings werden viele Produkte nicht mehr für den Gebrauch mehrerer Jahrzehnte hergestellt. Egal ob Elektrogeräte, Textilien oder Möbel. „Wegwerfgesellschaft“, sagt man in der Second-Hand-Branche dazu. „Früher zahlten Menschen für Möbel und Lampen Jahresgehälter, Heute bekommt man sogar Regale beim Diskonter. Da muss man nicht lange überlegen, was eine bessere Qualität hat“, sagt Vintage-Laden-Besitzer Mark Graninger zum KURIER.

Wer aus zweiter Hand kauft, wirkt im Kleinen den unglaublichen Bergen an Sperr- und Textilmüll etwas entgegen. „Der Lebenszyklus vieler Produkte wird verlängert. Es werden keine neuen Ressourcen verbraucht, kein neuer Konsum verursacht – den Dingen wird praktisch ein zweites Leben verliehen“, sagt Oberleiter.

Weltweit Milliarden an Umsatz

Zwischen 12.000 und 13.000 Altwarenhändler gibt es in Österreich, nicht alle führen ein Geschäft, viele verkaufen ihre Waren auch auf Märkten. Wie viel in Österreich damit umgesetzt wird, erhebt die Wirtschaftskammer nicht. Zahlen des Statistischen Bundesamts in Deutschland aber zeigen, dass seit Beginn des Jahrtausends der Umsatz des Einzelhandels mit Antiquitäten und gebrauchten Produkten um mehr als 2,5 Milliarden Euro gewachsen ist. Ein großer Teil davon wird mit dem Verkauf von gebrauchter Kleidung erwirtschaftet.

Weltweit ist der Second-Hand-Modemarkt zwischen 30 und 40 Milliarden Dollar schwer, zeigt eine Analyse der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Dieser zufolge wird der Sektor in den kommenden fünf Jahren bis zu 20 Prozent wachsen. Second-Hand-Shoppen erfordert aber auch Geduld. Nicht immer ist der Einkauf erfolgreich – viele Vintage-Läden sind von ihrem Netzwerk an Zulieferern, von Haushaltsauflösungen oder der eigenen Spürnase abhängig. Für Graninger erlebt diese bewusste Suche eine Renaissance. „Es gehört schon ein bisschen Glück dazu, das passende Möbelstück zu finden. Sideboards aus den 60er Jahren werden nicht auf Knopfdruck geliefert.“

"Wir retten hochwertige Möbel vor dem Müll"

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Mark Graninger und Angelika Nemeth machten aus ihrer Sammelleidenschaft einen Vintage-Laden

Sideboards aus Skandinavien, eine Couch von Wittmann, aus den 60ern, Teakholzmöbel von Nils Møller – im Vintage-Laden „Dekorative – Altwaren aller Art“ in Wien Meidling  stehen viele hochwertige Schätze aus vergangenen Jahrzehnten zum Verkauf.  Es sind Möbel, die aus Verlassenschaften stammen, Erbstücke oder Funde, die Angelika Nemeth und Mark Graninger  auf Vintage-Märkten in ganz Europa mitgebracht haben und restaurieren ließen. Besonders gefragt seien derzeit Möbel mit Funktion, wie Tische, Stühle und Schränke. „Wir achten auf gute Preise, wir sind bei Weitem nicht die Teuersten. 

Angefangen hatte alles mit ihrer Sammelleidenschaft –  Graninger hatte eine Schwäche für Glasobjekte, Skulpturen oder Lampen  aus den 60ern. „Irgendwann hatten wir keinen Platz mehr und mussten einen Lagerraum anmieten“, so Nemeth.  Er wurde zu ihrem ersten Geschäft, vor einem Jahr übersiedelten sie aus Platzgründen und machten ihre Leidenschaft zu ihrem Beruf. „Wir retten  Möbel vor dem Müll, das ist ein wichtiger Punkt für uns.“ Viele Möbelstücke aus den 50ern, 60ern und 70ern sei nach wie vor in gutem Zustand, da sie aus hochwertigen Materialien hergestellt wurden. „Möbel waren damals teuer, man gab viel Geld für sie aus und wurden entsprechend gepflegt.“      

„Ich verkaufe oder spende“

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Im „Kleinstein“ gibt es Spielzeug aus zweiter Hand

Cathrin Schmidtmayrs Laden geht auf eine praktische Überlegung zurück – wohin mit all den Spielsachen, wenn die Kinder zu groß für sie geworden sind? „Ich habe drei Jungs, da sind viele Spielsachen zusammengekommen. Schon damals haben die Älteren ihre Spielsachen an den Jüngeren vererbt“, erzählt Schmidtmayr. Zum Wegwerfen waren sie zu schade – warum also nicht verkaufen? 2008 eröffnete Schmidtmayr ihren ersten Laden, nach ein paar Jahren musste sie aufgrund der Menge an Kuscheltieren, Kinderbüchern, sonstigen Spielsachen in ein größeres Geschäft übersiedeln.

„Anfangs hat man mich belächelt, aber es kommen wirklich viele zu mir, die ihren Kindern gebrauchte Spielsachen kaufen  und ihnen so ein zweites oder sogar drittes Leben geben.  Es ist auch viel akzeptierter, Bücher, Holzspielzeug oder Matchbox-Autos aus zweiter Hand zum Geburtstag zu schenken.“ Ihre Ware bekommt sie von Eltern in den Laden gebracht. Werden die Sachen verkauft, zahlt Schmidtmayr eine Kommission von 40 Prozent aus. Bleiben sie unverkauft, werden sie entweder abgeholt, oder an soziale Einrichtungen gespendet. „Ich werfe nichts weg.“  

„Ich nehme nur besondere Stücke“

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First Hand heißt die Second-Hand-Mode-Boutique von Birgit Ruzowitzky. Wir kommen  mit einem Sack Altkleider vorbei – und reden über das Geschäft

„Schuhe sind mein Sargnagel“, sagt Birgit Ruzowitzky, Betreiberin einer Second-Hand-Boutique in Klosterneuburg. Sie nehme nur neue Schuhe, typische Fehlkäufe. Aber trotzdem fänden diese nur schwer eine neue Besitzerin. „Ich nenne es das  Aschenputtel-Syndrom – dieses eine paar Schuhe muss gefallen und passen. Die Trefferquote ist gering“, sagt Ruzowitzky.

Wir besuchen die Boutique in Klosterneuburg mit einem Sack ausgemusterter Kleidung.

Ruzowitzky: Ich schaue mir gerne jedes Stück an, bin aber sehr selektiv bei dem, was ich nehme.
KURIER: Was nehmen Sie gerne?
Ruzowitzky: Derzeit keine   Hosenanzüge, weil kaum jemand Bürogewand braucht. Auch Abendmode und Ballkleider  gehen heuer leider gar nicht. Ich nehme nur besondere Stücke.

Die Expertin mustert jedes Stück, von 30 Teilen nimmt sie vier entgegen: Kleider, an denen zum Teil noch der Preiszettel hängt, eines davon ein Designerstück. Sie schreibt einen Lieferschein.

Ruzowitzky: Ich nehme die Sachen bis zum Ende der  Saison in Kommission. Dann bekommen Sie entweder das veranschlagte Geld (in unserem Fall total 100 Euro) oder die Ware retour. Damit muss ich nichts vorfinanzieren, brauche kein Lager. Was ich nehme, hängt gleich im Geschäft.
KURIER: Das machen Sie seit 18 Jahren so?
Ruzowitzky: Ja. Und das Geschäft läuft gut. Es trägt mich, meine Angestellte und alle Kosten. Meist bleibt auch noch ein bisschen was übrig. Reich wird man damit aber nicht.
KURIER: Könnte ich meine Ware gegen etwas anderes tauschen? Die Gummistiefel würden mir gefallen.
Ruzowitzky: Nein, ich mache keine Tauschgeschäfte. Die Gummistiefel kosten 29 Euro und ich lasse auch gerne mit mir handeln.

Ruzowitzky ist ein Second-Hand-Profi. Sie hat den Blick für die besonderen Stücke, für die Kundinnen. In ihrem Geschäft dreht sich die Ware rasch, sodass viele Stammkundinnen oft vorbei kommen, um zu schauen und zu stöbern. Über ihr Anfänge erzählt sie, dass 10.000 Euro ihr Startkapital waren, ausgeborgt von ihrer Mutter. Seither habe sich das Geschäft in Klosterneuburg zu einem Fixpunkt für viele Kundinnen aus der Umgebung entwickelt. „Viele bleiben stehen, bevor sie zum Shoppen in die Stadt fahren – und ersparen sich den Weg, wenn sie schon bei mir etwas finden.“

Wie verankert Ruzowitzky in der Klosterneuburger Community ist, zeigen ihre Shopping Partys (sofern Corona das zulässt): Da wird für Freundinnen ab 18 Uhr Musik gemacht und Prosecco geöffnet. Gemeinsam  stöbert man sich durch  die Ware und fast immer finden fast alle etwas. Wobei:  „In einer Fünfer-Gruppe ist garantiert immer eine Person dabei, die nichts findet“, erzählt Ruzowitzky. „Weil sie mit Second Hand nichts anfangen kann, weil das Konzept nichts für sie ist, weil sie zu reserviert ist für etwas Altes.“  Aber die anderen gehen sehr glücklich nach Hause. So wie wir mit den Gummistiefeln.