Jugend ohne Job: „Die Jungen trifft es doppelt so hart“
Von Ornella Wächter
Last in, first out – wer zuletzt kommt, geht auch oft zuerst. Wie knallhart die Arbeitswelt sein kann, hat so mancher Berufseinsteiger gerade erlebt. Denn viele der unter 25-Jährigen haben in den vergangenen Wochen Job, Lehrstelle oder Praktikum verloren.
„So jung bereits mit Zukunftsängsten konfrontiert zu sein, hinterlässt Narben“, sagt Manuela Nemesch, Geschäftsleiterin der Sparte Jugend bei pro mente. Die Linzer Organisation betreut Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahren, mit den verschiedensten Problemen.
Zweifel und Zukunftsängste
Manche sind von Arbeitslosigkeit betroffen, andere finden keine Lehrstelle oder haben sie soeben wieder verloren. „Mit großen Zukunftsängsten umzugehen, ist für Junge eine große Herausforderung“, so Nemesch.
Manche finden nach kurzer Zeit wieder zurück zum Arbeitsmarkt, andere würden Monate bis Jahre brauchen. Aus Erfahrung weiß Nemesch: „Je länger die Arbeitslosigkeit andauert, desto stärker prägen sich Selbstzweifel und Ängste ein, sowie das Gefühl, nicht gebraucht zu werden.“
Krise trifft vor allem Junge
Sozialpädagogen, Soziologen und Arbeitsmarktexperten befürchten, dass es in den kommenden Monaten etlichen Jugendlichen so gehen wird. Auch eine Prognose der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich heuer aufgrund der Corona-Krise fast verdoppeln könnte – von 44.000 auf knapp 80.000 arbeitslose Jugendliche.
Zählt man zu Erwerbslosen auch die sogenannten „NEET’s“ hinzu, also Jugendliche, die nicht in der Schule, keine Arbeit haben, nicht in Ausbildung und nicht beim AMS sind, sind es rund 93.000. Düster schaut es vor allem am Lehrstellenmarkt aus. Hier finden sich laut Arbeitsmarktservice (AMS) um knapp ein Viertel weniger offene Lehrstellen.
„Vor der Krise hatten wir 44.000 arbeitslose Jugendliche. Unsere Prognose zeigt, dass die Zahl auf knapp 80.000 ansteigen wird.“
Soziologe an der JKU
Eigentlich gilt die Lehre als jobsicher. Die Ausbildung ist praxisorientiert, bietet gute Perspektiven amArbeitsmarkt und auch die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe ist nur moderat höher als unter Akademikern.
International wird das österreichische System deswegen als Best-Practice-Modell gehandhabt – nicht zuletzt, weil es auch ein wirksames Instrument zur Senkung der Jugendarbeitslosigkeit und des Fachkräftemangels ist. In diesem Jahr mussten allerdings viele die Erfahrung machen, das nicht jede Ausbildung, nicht jeder Job krisensicher ist.
Niederschwellige Unterstützung
Coronabedingt erleben viele heimische Betriebe eine schwierige Zeit. Mitarbeiter werden in Kurzarbeit geschickt, die Auftragslage ist dünn. „Jugendliche haben es bei der Lehrstellensuche wirklich schwer“, bestätigt Holger Schaller. Der Sozialarbeiter betreut bei pro mente mit dem Projekt „resp@ct“ ausschließlich NEET’s. Im Moment rund 100 Jugendliche. „Viele haben ihre Lehrstelle aufgrund der Krise wieder verloren.“
Mit dem Projekt wolle man möglichst niederschwellig betroffene Jugendliche erreichen und unterstützen, so Schaller. "Sie sollen nicht alleine dastehen, sondern merken, dass da jemand ist, der sie unterstützt und auf ihrem Weg begleitet."
Weniger Lehrstellen
Da die Lehre vor allem nachfrageorientiert funktioniert, wird am Lehrstellenmarkt stark gekürzt. Rund 4.500 offene Lehrstellen führt eine Liste des AMS – um 24 Prozent weniger als im Vorjahr. Demgegenüber gibt es 8.366 aktiv Lehrstellensuchende.
Der Soziologe Johann Bacher, Co-Autor der JKU-Prognose, erwartet, dass heuer bis zu 7.500 Lehrstellen fehlen könnten. Betroffen sind alle Bereiche –besonders mager schaut es in der Gastronomie und im Tourismus aus. Im Hotel- und Gastgewerbe gibt es rund 40 Prozent weniger Lehrstellen, in der Berufsgruppe Restaurantfachfrau/-mann um 51 Prozent weniger, in der Berufsgruppe Gastronomiefachfrau/-mann sind um 45,5 Prozent weniger Stellen ausgeschrieben.
Lost Generation?
Im EU-Vergleich steht Österreich mit der Arbeitslosenrate unter Jugendlichen zwar gut da. Trotzdem warnt Bacher: „Das Thema wird aktuell zu stiefmütterlich behandelt.“ Der Soziologe spricht bereits von einer „Lost Generation“: „Es ist zu befürchten, dass bei fehlenden Maßnahmen das Niveau der Jugendarbeitslosigkeit auch nach der Krise hoch bleiben wird.“
Laut Bacher sind Junge durch die Pandemie fast doppelt so stark von Arbeitslosigkeit bedroht wie die heimische Gesamtbevölkerung. „Zudem sind sie nicht so fest verankert am Jobmarkt, stecken in prekären Arbeitsverhältnissen fest und werden schneller gekündigt, als die Stammbelegschaft.“
Langjährige Folgen
Studien hätten gezeigt, dass Betroffene die Folgen früher Arbeitslosigkeit oft über Jahrzehnte mitschleppen. Diese reichen von Einkommensverlusten bis hin zu schweren psychischen Problemen. „Das hat auch Auswirkungen auf die Gesellschaft. Das politische Interesse sinkt, man engagiert sich weniger sozial.“
Die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, dass sich mit der Erholung der Wirtschaft auch die Jugendarbeitslosigkeit sinkt. Aber: „Keiner weiß derzeit, wann der wirtschaftliche Aufschwung kommt.“
Maßnahmen gegen Jungendarbeitslosigkeit
Prinzipiell wurde die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich in der Vergangenheit auf niedrigem Niveau gehalten, da relativ viel Geld in die aktive Arbeitsmarktpolitik investiert wurde. Instrumente, die auch Wirkung zeigten war etwa die Ausbildungspflicht bis 18 Jahre. Allen Jugendlichen soll über die Pflichtschule hinaus eine Ausbildung ermöglicht werden.
Das AMS bietet mit dem Berufsinformationszentrum (BIZ) Unterstützung in den Themen Aus- und Weiterbildung. Mit der überbetrieblichen Lehre (ÜBA) wurde eine Ausbildungsgarantie geschaffen für jene, die keine Lehrstelle finden.
Für besonders benachteiligte Jugendliche, darunter frühe Schulabgänger oder Jugendliche mit psychischen Erkrankungen oder mit Suchtproblematik, haben sich das Jugendcoaching sowie psycho-soziale Unterstützungsnetzwerke als hilfreich erwiesen.
Aufgrund der Corona-Krise schlägt die Caritas einen Beschäftigungsscheck in Höhe des Arbeitslosengeldes vor, der beim Arbeitgeber eingelöst werden kann. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) fordert einen Corona-Not-Ausbildungsfonds, um Ausbildungsbetriebe zu unterstützen.