Wo der Wein zu Hause ist: die schönsten Winzerhäuser
Das Weingut Wutte erkennt man von Weitem. Das liegt an seinem Wahrzeichen: Eva und Mario Wutte haben im südsteirischen Fresing eine Weinkathedrale (Foto oben) errichtet, die weithin bekannt ist. Gemacht wurde sie von Spitzbart+Partners. Markus Spitzbart erklärt das auffällige Bauwerk. „Durch das Steildach und die Gestaltung der Giebelfront als Weinpräsentationswand erhält das Gebäude einen sakralen Charakter, ohne streng zu wirken. Es macht optisch schon von Weitem auf sich aufmerksam und gibt durch die völlige Verglasung der Front Einblick in seine gesamte Tiefe.“
Gewagte Liaison
Diese gewagte Liaison aus Tradition und Moderne ist nur eines von vielen Beispielen für kreative Architektur in den Weingärten. Sie alle fallen durch innovatives Design auf und überzeugen mit kreativem Gesamtkonzept. Spitzbart: „Die Architektur ist ein Zeitzeuge und spiegelt immer auch die gesellschaftliche Entwicklung wider.
Bei Weingütern geht es unabhängig von Stilen und Trends stets auch darum, Räume zu schaffen, in denen das Produkt im Mittelpunkt steht“. So gesehen ist Weinarchitektur Markenarchitektur, sie unterstreicht die Botschaft als „Gebäude des Weins“ und macht die Marke mit allen Sinnen erlebbar.
Für Erlebnisse ohne Brüche müssen deshalb Marken- und Architekturkonzept derselben Idee folgen und sich gegenseitig optimal verstärken.
Die Pioniere
Begonnen hat die neue Welt auf Österreichs Weinbergen nach dem Glykol-Weinskandal Mitte der 1980er-Jahre, baulich spätestens um die Jahrtausendwende. Das magische Jahr 2000 brachte weder einen Weltuntergang noch einen globalen Y2K-Computercrash, dafür die ersten hypermodernen Bauten in den Weingärten heimischer Winzer. So gab es damals etwa in Langenlois große Aufregung und viel Gerede, als Fred Loimer auf einem 150 Jahre alten, von Hand gegrabenen Lößkeller nach dem Entwurf von Andreas Burghardt einen minimalistischen schwarzen Kubus errichten ließ. Damit gab er dem lieblichen Kellergassen-Ensemble nicht nur eine besondere Note, er wurde auch zu einem Wegbereiter der neuen Weinarchitektur.
Für Kritiker war es ein „Unding“ oder gar eine „schiache schwoaze Kistn im Weingarten“, für viele Architekten und Winzerfamilien aber der Auftakt zu einer neuen Epoche. Drei Jahre später wurde unweit von Loimer das skulpturale Loisium des Stararchitekten Steven Holl eröffnet, im Jahr danach machte im burgenländischen Jois am Neusiedler See Leo Hillinger, heute Pop-Star der Winzerszene, mit seinem von Gerner & Gerner designten Weingut Furore.
Blüte der modernen Weinarchitektur
Seither haben viele Winzer mithilfe von kreativen Vordenkern in Österreich für eine wahre Blüte der modernen Weinarchitektur gesorgt. Sie besticht durch klare Linien, hochwertige Materialien, ganzheitliche Konzepte und Mut zur Innovation. So auch das neue Weingut von Claus Preisinger in Gols, geplant vom Wiener Architekturbüro propeller z. Der markante Langbau aus Beton und Holz ermöglicht reibungslose Produktionsabläufe von der Pressung bis zur Lagerung und spiegelt die schnörkellose Weinstilistik des Winzers wider.
„Ein Weingut-Projekt berücksichtigt den gesamten Kreislauf der Weinproduktion, den kulturellen Kontext des Standortes, die Location an sich, den Lebenszyklus des Materials und die Nachhaltigkeit und Adaptierbarkeit für kommende Generationen“, ist auch Kurt Sattler vom Architects Collective überzeugt. „Was die Architektur in einem Jahr plant und baut, ist nicht nur ein ästhetisches Statement, sondern ein holistisches Konzept mit Verantwortung für Mensch und Natur“.
Herausforderung Klimawandel
Das Prinzip „form follows function“ ist dabei meist vorrangig – sowohl, was die Errichtung neuer Gebäude betrifft, als auch die Weinproduktion an sich. Die größte Herausforderung der Bauherren und Architekten werde künftig laut Sattler die Klimaveränderung sein: „Nicht nur die Umwelt, auch die Sorten und Weinstile haben sich vor allem in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verändert.“
Die Architektur trägt dem Rechnung und schafft im wahrsten Sinne neue Perspektiven, so Markus Spitzbart. „Wir sind immer wieder erstaunt, was gute Weinarchitektur alles leisten kann. Welche Effekte damit einhergehen. Von einer Belebung der gesamten Region über Auswirkungen auf den Tourismus bis hin zu Vernetzungen und Kooperationen unterschiedlicher Stakeholder.“