Shiffrin, Schwarz und Co.: Der Skisport verliert seine Stars
Von Christoph Geiler
Als Mikaela Shiffrin hilflos im Fangnetz lag und sich minutenlang nicht rührte, hatte man schon vom Schlimmsten ausgehen müssen: Nicht schon wieder ein schwer verletzter Skistar, bitte nicht der nächste prominente Langzeitausfall in diesem Winter, der Wochenende für Wochenende neue Opfer fordert.
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Im Gegensatz zu vielen Kolleg/innen dürfte Mikaela Shiffrin ihren wilden Abflug von der Tofana-Abfahrtspiste in Cortina bei Tempo 120 vergleichsweise glimpflich überstanden haben. „Es ist alles okay“, meldete sich die US-Amerikanerin auf Social Media zu Wort, nachdem sie mit dem Hubschrauber vom Berg geborgen worden war. Laut ersten Informationen ist die erfolgreichste Läuferin der Ski-Geschichte (95 Weltcupsiege) mit einer Innenbandverletzung im linken Knie davon gekommen und könnte demnach in dieser Saison noch Rennen fahren können.
Es hätte irgendwie zu diesem eigenartigen Winter gepasst, wäre dem Weltcup am Freitag in Cortina mit Mikaela Shiffrin auch noch der größte Star abhandengekommen, den der Skisport im Moment zu bieten hat. Seit Beginn der Saison Ende Oktober in Sölden verabschieden sich Woche für Woche namhafte Athleten in den Krankenstand oder verkünden ihr Karriereende.
Rücktritte
Mit dem Norweger Lucas Braathen und den beiden Deutschen Thomas Dreßen und Josef Ferstl zogen sich zuletzt drei Läufer zurück, die Weltcuprennen gewonnen und zu den Besten der alpinen Zunft gezählt haben.
Gerade der 23-jährige Lucas Braathen hätte das Zeug gehabt, das Gesicht des internationalen Skisports zu werden. Der Sohn einer Brasilianerin, der stets mit extravaganten Outfits und grell lackierten Fingernägeln auftaucht, ist einer, der über den Pistenrand hinausblickt und gerne gesellschaftspolitische Themen wie Homophobie, Rassismus oder Hass im Internet anspricht. Nach einem Streit mit dem norwegischen Skiverband hatte der sensible Braathen die Karriere ähnlich überraschend beendet wie seinerzeit Matthias Mayer.
Das Fehlen des Publikumslieblings, der ganz neue Zielgruppen ansprach, fällt auch deshalb so auf, weil viele der wenigen Lichtgestalten dieses Sports, der in Wahrheit ja nur Österreichern und Schweizern die Welt bedeutet, aktuell keine Strahlkraft haben.
Kniefälle
In gestürzter Reihenfolge: Marco Schwarz musste diese Saison vor dem Jahreswechsel vorzeitig beenden, nachdem er sich in der Abfahrt in Bormio einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Der Kärntner, der mit dem ambitionierten Ziel angetreten war, alle 44 Rennen zu bestreiten, gibt dem engen Terminkalender keine Schuld an seiner schweren Verletzung. „Wir haben einen genauen Plan verfolgt und immer auf den Körper gehört“, versichert Schwarz.
Nach dem 28-jährigen Österreicher, der bis zu seinem Ausscheiden dem Schweizer Seriensieger Marco Odermatt ein packendes Duell um den Gesamtweltcup lieferte, erwischte es mit Alexis Pinturault in Wengen die nächste Größe. Der Franzose, seines Zeichens dreifacher Weltmeister und Gewinner von 34 Weltcuprennen, erlitt ebenfalls einen Kreuzbandriss.
24 Stunden später war die Saison dann für den besten Abfahrer der letzten Jahre gelaufen: Der Norweger Aleksander Aamodt Kilde hatte bei seinem Abflug in Wengen weniger Glück als Freundin Mikaela Shiffrin. Eine schwere Schulterverletzung lässt keinen Start mehr zu.
Vor einer Woche beklagte dann auch noch der Frauen-Weltcup einen prominenten Ausfall: Die Slowakin Petra Vlhova, die größte Herausforderin von Shiffrin im Gesamtweltcup, verletzte sich beim Heimrennen in Jasna schwer am Knie.
Verletzungsquote
Kann diese Verletzungsmisere nur Zufall sein? Hält der Körper mit der Materialentwicklung nicht mehr Schritt? Ist der Terminplan zu dicht?
Diese Fragen wiederholen sich Jahr für Jahr vor allem dann, sobald sich die Topstars verletzen. Muss ein Ottonormalrennläufer mit Nummer 60 mit dem Hubschrauber geborgen werden, hält sich der Aufschrei in Grenzen.
Chirurg Christian Fink sieht die Sache pragmatisch. „In anderen Sportarten gibt es oft sportartentypische Verletzungen, die immer wiederkehren. Im Skisport kannst du kein klassisches Verletzungsmuster erkennen.“
Fink gibt sich keinen Illusionen hin: „Wir werden im Spitzenbereich wohl immer eine Verletzungsquote von 20 bis 25 Prozent haben.“