Sport/Wintersport

Peter Schröcksnadel: „Das stört mich extrem“

KURIER: Sexueller Missbrauch war lange ein Tabuthema. Finden Sie es persönlich denn gut, dass jetzt intensiv darüber gesprochen wird?

Peter Schröcksnadel: Ich finde, dass man grundsätzlich über alles reden soll. Egal, um welche Themen es geht. Das haben wir beim Skiverband seit ich im Amt bin auch immer so gehalten. Jeder kann zu mir kommen, ich habe für alle ein offenes Ohr. Mir ist auch sehr wichtig, dass man Diskussionen offen führt.

Man konnte zumindest bislang aber den Eindruck gewinnen, dass Sie das Missbrauchsthema lieber aus der Welt hätten.

Nein, das stimmt so überhaupt nicht. Mir war auch die Tragweite bewusst. Nur was ich nicht mag, und dazu stehe ich nach wie vor, auch wenn ich weiß, dass mich dafür wieder einige kritisieren werden: Ich halte überhaupt nichts von anonymen Anschuldigungen, die nicht belegt werden können. Das stört mich extrem. Wenn ich mir zum Beispiel international die MeToo-Debatten ansehe: Da stehen die Frauen, die das an die Öffentlichkeit bringen, auch dahinter. Die verstecken sich nicht. Da ist nicht nur der Täter öffentlich, sondern auch das Opfer.

Glauben Sie nicht, dass viele Opfer gar nicht an die Öffentlichkeit wollen?

Natürlich kann ich das nachvollziehen,ich kann verstehen, dass manchen für diesen Schritt der Mut fehlt. Ich sehe darin aber trotzdem ein Problem. Was glauben Sie, warum wir jetzt im Verband so schnell die Konsequenzen gezogen und uns von einem Trainer getrennt haben?

Verraten Sie’s.

Weil wir einen konkreten Fall hatten und den Namen in Erfahrung bringen konnten. Diese Vorgehensweise hätten wir uns in der Vergangenheit auch schon gewünscht. Wenn ich nicht weiß, um was und wen es sich handelt, sind uns als Verband auch die Hände gebunden. Deswegen habe ich von Anfang an gefordert: Sagt’s uns die Namen, konfrontiert’s uns damit, und wir untersuchen das. Wir haben da als Skiverband eine Verantwortung, der wir uns auch stellen wollen. Wir sind wirklich offen, nur das glaubt uns niemand.

Was unternimmt denn der ÖSV konkret?

Wir haben drei Sachen in die Wege geleitet. Als erstes haben wir die Frau Klasnic als fixe Anlaufstelle für die Opfer installiert. Der zweite Schritt war, dass wir die Frau Wimmer-Puchinger, eine europaweit anerkannte Psychologin, in die Schulen mit Schwerpunkt Ski geschickt haben, um bei den Jugendlichen Aufklärungsarbeit zu leisten. Und dann arbeiten wir auch noch eng mit Professor Martina Leibovici-Mühlberger zusammen. Sie haben wir gebeten, die internen Strukturen beim Skiverband genau unter die Lupe zu nehmen.

Was kam dabei raus?

Sie hat 239 ÖSV-Mitarbeiter anonym befragt, da wird uns ein gutes Zeugnis ausgestellt, das kann man auch im Internet nachlesen. Mich freut zum Beispiel, dass 95 Prozent unserer Athleten mit dem Training zufrieden sind. Der Report bescheinigt uns auch, dass wir keine hierarchische Struktur im Verband haben.

Tatsächlich?

Ja, weil bei mir immer die Türen offen stehen. Das haben einige Trainer anonym kritisiert. Die sind der Meinung, dass die Sportler zuerst zu ihnen kommen sollen, wenn es Probleme gibt. Ich bin da anderer Auffassung: Wir wollen mutige und mündige Athleten haben, deswegen kümmern wir uns um die Stärkung der Persönlichkeit . Frau Leibovici-Mühlberger macht da eigene Schulungen für unsere Sportler.

Was erhoffen Sie Sich davon?

Ich bin der Meinung, dass die Stärkung der Persönlichkeit das wichtigste Thema in der MeToo-Debatte ist. Wenn ich selbstbewusst und selbstbestimmt bin, dann traue ich mich auch alles zu sagen und Probleme anzusprechen. Abgesehen davon, dass ein Athlet nur dann eine Topleistung bringen kann, wenn er sehr selbstbewusst auftritt.

Themenwechsel: Was bewegt den Menschen Peter Schröcksnadel?

Was mich bewegt und zugleich auch sehr stört ist die extreme Polarisierung, die heute in der Gesellschaft allgegenwärtig ist. Ich bin es ja schon gewohnt, dass die einen meine Arbeit schätzen und die anderen alles kritisieren, was ich mache. Mir fällt aber grundsätzlich auf, dass man immer weniger versucht, auf die anderen einzugehen. Dass man das teilweise auch gar nicht will. Mir kommt grundsätzlich vor, dass der Ton rauer wird, man muss sich nur einmal die Hasspostings im Internet anschauen. Das sind Entwicklungen, die mir nicht gefallen.

Und welche Visionen haben Sie noch als ÖSV-Präsident?

Die Visionen können gar nicht mehr so groß sein, aber es gibt schon noch einige Projekte, die mich reizen und faszinieren.

Zum Beispiel?

Es gäbe da eine Mega-Geschichte für Wien. Ich muss jetzt vorweg schicken, dass das nicht meine Idee war, sondern ein Architekt schon 2013 entwickelt hat. Aber das Projekt ist gut und meiner Meinung nach lohnt es sich, da dran zu bleiben. Man könnte das Happel-Stadion zu einem Multi-Funktionsstadion umbauen. Für den ganzen Ballsport, für Events, und auch für Skisport.

Skisport im Happelstadion?

Das würde funktionieren. Der Plan sieht vor, dass man dort sogar eine Großschanze inkludiert, dass man alles in eine große Anlage rein baut. Natürlich kostet das viel Geld, aber eine Überlegung ist es sicher wert. Stellen Sie Sich einmal vor ein Skispringen vor 60.000 Menschen in Wien, man könnte dort sogar einen Parallelslalom fahren. Ich weiß, das ist ein Projekt, das viel Fantasie hat, aber ich will es unterstützen.

Ein anderes Projekt von Ihnen ist bereits kurz vor der Startphase: Man kann es fast nicht glauben: Peter Schröcksnadel begeistert sich für eSport.

Ich persönlich bin jetzt absolut kein Gamer, auch kein Twitter-Präsident, aber ich verfolge schon länger mit großem Interesse die Entwicklung von eSport.

Was fasziniert Sie daran?

Ich sehe in dem Bereich sehr viel Potenzial. Schauen Sie nur einmal nach Asien, dort kommen 50.000 Leute in ein Stadion und sehen sich die Computerspieler an. Man kann sich diesem Trend nicht verschließen: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man dadurch neue Schichten der Gesellschaft erreicht, die bislang mit dem Skisport nichts am Hut hatten. Auch Migranten zum Beispiel. Wenn man solche eSport-Winterspiele austrägt, könnten wir den Skisport vielleicht einigen Menschen näher bringen.

Soll ein Sportverband wirklich die Menschen dazu animieren, sich vor den Computer zu setzen?

Aber die Leute, die wir da ansprechen wollen, die sitzen sowieso schon vor dem Computer. Und ich glaube, dass man sie zum Teil davon wegbringen kann, durch Preise wie Skipässe oder Skiausrüstung. Es wäre doch toll, wenn wir dann so ein eSport-Finale oben am Bergisel oder auf dem Gletscher in Sölden veranstalten. Natürlich ist mir klar, dass das kontroversiell diskutiert wird.

Ein Peter Schröcksnadel macht bekanntlich nie etwas ohne Hintergedanken. Was erhoffen Sie Sich von Ihrer eSport-Offensive?

Es gibt natürlich auch einen zweiten Hintergrund: Wenn wir das machen, dann können wir für den ÖSV sehr viele Einnahmen erzielen, die dann wieder in den echten Sport fließen. Eines muss uns klar sein: Wenn wir beim ÖSV diese Chance nicht wahrnehmen, dann nutzt sie wer anderer. Und dann mache ich es lieber selbst und schau, dass der Verband und der Wintersport zu neuen Einnahmen kommen.

Apropos Wintersport: Was halten Sie davon, wenn bei 25 Grad plus auf schmalen Schneebändern die Wintersaison eröffnet wird, wie es in Kitzbühel passiert ist?

Für den Tourismus ist das ein völliger Unsinn. Aber für Trainingszwecke finde ich das gar nicht einmal so falsch. Und man kann daran sehen, dass der Wintersport selbst dann überleben kann, wenn es sehr warm ist. Es kommt ja gerne der Vorwurf, dass es mit dem Wintersport wegen der Klimaerwärmung bald vorbei sein wird. Wir haben gerade die drei wärmsten Sommer der Geschichte hinter uns, im gleichen Zeitraum haben die Wintersportorte aber auch die drei besten Saisonen erlebt. So schlecht ist es um den Wintersport nicht bestellt.

Und wie ist es um die Zukunft des ÖSV bestellt? Wenn zum Beispiel Marcel Hirscher einmal die Karriere beendet?

Das bereitet mir keine Sorgen. Dann kommen eben die nächsten Helden. Das haben sie ja bei Hermann Maier, Stephan Eberharter oder Benjamin Raich auch gesagt, und was ist passiert: Der Marcel ist aufgetaucht. Außerdem wird er ja hoffentlich noch einige Zeit fahren.