"Verrückt" und "unfair": Die Corona-Farce bei den US Open
Tennis-Legende Boris Becker kritisiert die jüngste Corona-Farce bei den US Open als "unfair", der Weltranglisten-Erste Novak Djokovic beklagt "Widersprüchlichkeiten" - und vielen Profis fehlt jegliches Verständnis für die jüngsten Maßnahmen. Das von Beginn an reichlich umstrittene erste Grand-Slam-Turnier nach der pandemiebedingten Zwangspause wird zur Halbzeit von heftigen Debatten zum Umgang mit dem positiven Testergebnis des französischen Profis Benoît Paire begleitet.
Am Wochenende wurde das derzeit weltbeste Damen-Doppel disqualifiziert, weil die Französin Kristina Mladenovic zu den Kontaktpersonen des positiv auf Covid-19 getesteten Paire zählte. Der ebenfalls mit Paire in der Hotellobby Karten spielende Adrian Mannarino hingegen durfte gegen Alexander Zverev antreten.
"Das ist unfair und nicht richtig. Es macht nämlich überhaupt keinen Sinn", sagte Becker in seiner Rolle als TV-Experte für Eurosport. Er bezeichnete es als "immer schlecht, wenn die Politik in den Sport eingreift" und beklagte, dass "normalerweise gleiches Recht für alle" gelten müsse. Überhaupt kein gutes Bild gibt in den ganzen Irrungen und Wirrungen der veranstaltende amerikanische Tennisverband ab.
Djokovic versuchte zu intervenieren
Mit einer Art Nicht-Kommunikation verschärft die USTA noch die Diskussionen um Transparenz und Nachvollziehbarkeit der aktuellen Entscheidungen. Letzten Endes war es so, dass die Gesundheitsbehörden des Bundesstaates New York das Verdikt der Kollegen der Stadt New York kassierten und diese überstimmten. Mannarino hatte schlicht Glück, dass es am Freitag wohl irgendwie knirschte zwischen USTA, Stadt New York, Bezirk Nassau (wo die meisten Profis auf Long Island in ihrer sogenannten Blase in Hotels wohnen) und Bundesstaat New York.
Selbst Djokovic versuchte vor seinem Drittrunden-Sieg gegen den deutschen Davis-Cup-Spieler Jan-Lennard Struff noch, den Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, anzurufen. "Ich habe versucht, die Leute in den höchsten Positionen zu erreichen", erzählte die serbische Nummer eins.
Dass Mannarino sein Antreten auch der Fairness von Zverev zu verdanken hatte, der sich mit der mehrstündigen Wartezeit und den Verschiebungen einverstanden erklärt hatte, ging in den Diskussionen fast unter. Jedenfalls entging Mannarino einer Disqualifikation (und schied gegen Zverev aus), das an Nummer eins gesetzte Doppel Mladenovic/Timea Babos (Ungarn) hingegen wurde vom weiteren Turnierverlauf ausgeschlossen. Dabei waren sowohl Mladenovics als auch Mannarinos von da an tägliche Testergebnisse allesamt negativ. Und zu ihren Einzel-Matches zuvor durften beide ja auch noch antreten - obwohl der Kontakt zu Paire schon zuvor bestanden hatte.
"Ein Amateur-Turnier"
Von "Widersprüchlichkeiten" in den Quarantäne-Regelungen sprach Djokovic. Mladenovics französische Kollegin Alizé Cornet zeigte sich "schockiert" und sagte: "Das ist definitiv verrückt, sie konnte ihre erste Runde im Einzel und Doppel spielen, und jetzt auf einmal wird sie aus dem Turnier gekickt. Das ist brutal." Die französische Sportzeitung L'Équipe wählte in ihrer Sonntags-Ausgabe gar die drastische Überschrift "Ein Amateur-Turnier", formulierte aber auch treffend das Dilemma: "Man weiß nicht, wen man von den Organisatoren oder den politisch Verantwortlichen dafür verurteilen soll."
Mittlerweile sind alle als Kontaktpersonen von Paire ausgemachten Profis nicht mehr dabei - nach Hause reisen dürfen sie vorerst aber dennoch nicht. Ebenso wenig wie trainieren. Bis nächsten Freitag müssen sie stattdessen weiter in ihren Zimmern in den Hotels auf Long Island in Quarantäne bleiben. Das bedeutet wiederum, dass sie nicht mehr rechtzeitig zum Sandplatz-Turnier nach Rom und für die dort anstehenden Corona-Tests anreisen könnten.
Ob allen Beteiligten die Konsequenzen ihrer US-Open-Zusage bewusst war, scheint jetzt mehr und mehr fraglich. Immerhin mussten die Spielerinnen und Spieler strenge Hygiene- und Sicherheitsprotokolle unterschreiben - die jedoch jetzt noch einmal verschärft wurden. "Ich bin mal gespannt, wie das jetzt weitergeht", sagte Becker. Immerhin blieb den Veranstaltern das Schreckensszenario der von Djokovic mitorganisierten Adria-Tour erspart: Was wohl passiert wäre, wenn es in den ersten Tagen nicht nur den einen, sondern mehrere Corona-Fälle gegeben hätte, vermag sich im Moment niemand auszumalen.