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Rückzug von Schach-König Carlsen: Ein Russe spielt um die WM-Krone

Im letzten Jahrzehnt – und vor allem in Zeiten von Corona – hat sich Schach vorwiegend auf Online-Plattformen in Richtung der Schnell- und Blitzvarianten entwickelt. Das hat auch das mediale Konsumverhalten der Interessierten verändert, sodass die klassische Variante besonders für junge Fans immer langweiliger wirkt. Die der klassischen Variante immanente Langeweile hat nicht nur Schachfans erfasst, sondern auch den amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen.

Der Norweger hatte keine Lust mehr darauf, sich monatelang ins Trainingslager zurückzuziehen, um dort zig Eröffnungsvarianten mit 20 Zügen und mehr auswendig zu lernen, um vielleicht einen minimalen Vorsprung herauszuarbeiten. Das alles natürlich mithilfe von Supercomputern, die mittlerweile in wenigen Sekunden die besten 30 und mehr Folgezüge berechnen.

Es gibt daher diesen April einen neuen Schach-Weltmeister, weil Carlsen nach zehn Jahren als Weltmeister den Titel nicht mehr verteidigt. Seit 2013 stand der 32-Jährige ununterbrochen an der Spitze der klassischen Schachvariante. Vier Mal verteidigte er seinen Titel, doch jetzt will er nicht mehr. Er begründet seine Entscheidung mit fehlender Motivation. Noch im Dezember hat Carlsen sowohl die WM im Schnellschach gewonnen als auch die im Blitzschach.

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Favorit "Nepo"

Der 32-jährige Russe Jan Nepomnjaschtschi spielt deshalb ab Sonntag gegen den 30-jährigen Ding Liren, den ersten Chinesen, der um die Schach-WM-Krone spielt. Nepomnjaschtschi, den die Schachszene wegen seines komplizierten Nachnamens gemeinhin "Nepo" ruft, gilt als Favorit. Es ist bereits sein zweiter WM-Kampf, vor zwei Jahren konnte er in Dubai gegen Carlsen über einige Partien mithalten, unterlag am Ende aber doch klar.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der Russland wegen des Krieges gegen die Ukraine in der Sportwelt weitgehend isoliert ist, spielt ein Russe um die Krone des in Russland traditionell besonders wichtigen Schachsports. Neun der 17 bisherigen Weltmeister kamen aus Russland beziehungsweise der Sowjetunion, der bisher letzte war Wladimir Kramnik (bis 2007).

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Nepomnjaschtschi stammt aus Brjansk nahe der russisch-ukrainischen Grenze und wohnt in der Nähe von Moskau. Er zählt zu jenen 44 russischen Großmeistern, die sich vor etwas mehr als einem Jahr nach dem Überfall auf die Ukraine in einem bemerkenswerten offenen Brief gegen den Krieg ausgesprochen haben.

Politisches Schweigen

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung redete der Russe sehr offen auch über Krieg und Politik. Doch im Anschluss daran bestand sein Management darauf, die allermeisten politischen Fragen und Antworten nicht zu publizieren. Nepomnjaschtschi sei dazu verpflichtet, sich während der ersten WM-Tage nicht über Politik zu äußern.

Die Schach-Weltmeisterschaft 2023 findet bis zum 1. Mai im eleganten St. Regis Astana Hotel in Kasachstan statt. Alle Spiele beginnen um 15 Uhr Ortszeit (11 Uhr MESZ) und nach jeder zweiten Runde gibt es einen Ruhetag. Die Titelkämpfe beginnen am Sonntag und werden über 14 Partien ausgetragen. Der Spieler, der 7,5 Punkte oder mehr erreicht, gewinnt die WM. Es werden keine weiteren Partien gespielt. Bei einem Unentschieden wird der Champion in einem Schnellschach-Playoff ermittelt. Das Preisgeld beträgt zwei Millionen Euro, wobei 60 Prozent an den Gewinner gehen.