WM-Serie, Teil 18: Das schwere Los des Gastgebers
Von Christoph Geiler
Es gibt Fragen, die man Stanislaw Tschertschessow besser nicht stellen sollte. Zum Beispiel jene, warum es nur wenige Torhüter gibt, die es als Trainer zu etwas gebracht haben. Oder weshalb bereits seit geraumer Zeit kein russischer Fußballer mehr bei einem europäischen Topverein gespielt hat.
Wer es wagt, Stanislaw Salamowitsch Tschertschessow mit solchen Themen zu konfrontieren, der wird zumindest mit vorwurfsvollen Blicken gestraft. Nicht selten kann er sich vom russischen Teamchef auch einiges anhören. Würde man Stanislaw Tschertschessow und seine typische Art nicht schon seit Jahren kennen, man würde die Unterhaltung am liebsten auf der Stelle abbrechen.
Die Sache mit der niedrigen Torhüter-Quote im Trainerjob pflegt Tschertschessow gerne mit der hohen Mathematik zu erklären. „In einer Mannschaft sind elf Spieler, aber nur einer von ihnen steht im Tor. Jeder kann sich ausrechnen, dass es dann weniger Tormänner unter den Trainern gibt.“
Und auch die Frage nach den fehlenden Namen und also der fehlenden Klasse im Nationalteam des Gastgeberlandes lässt Tschertschessow so nicht gelten. „Das werde ich meinen Spielern erzählen“, sagt er, „eine bessere Motivation können sie nicht haben. Man wird bei dieser WM einige Namen kennenlernen“, versichert er.
Echte Krieger
Man muss dem 54-Jährigen für seinen unerschütterlichen Optimismus und seinen Mut ja eigentlich ein Kompliment aussprechen. Nicht jeder Coach hätte sich diesen schwierigen Job angetan. Einerseits fordert Präsident Wladimir Putin beim Heimturnier „echte Krieger“ und Siege ein, andererseits liegt der russische Fußball am Boden. Bei der EM 2016 (Vorrundenaus mit einem Punkt) hatten nur die Hooligans aus Russland Durchschlagskraft bewiesen, und weil die Gastgeber auch vor einem Jahr beim Confederations Cup vorzeitig ausgeschieden waren, fürchten manche Experten bereits ein Südafrika-Schicksal. Für die Afrikaner war 2010 bei ihrer Heim-WM in der Vorrunde Endstation. Seit 1998 hatte noch jeder WM-Gastgeber zumindest das Semifinale erreicht.
Andererseits, was hat Stanislaw Tschertschessow auch schon groß zu verlieren? Vor ihm sind schon viel berühmtere Trainer bei der Sbornaja gescheitert.Man erinnere nur an Dick Advocaat oder Fabio Capello, die die hohen Erwartungen und Gagen in keinster Weise erfüllen konnten. „Und wenn du die Gelegenheit hast, das Nationalteam deines Landes zu trainieren, dann kannst du nicht nein sagen“, meinte Tschertschessow bei seinem Amtsantritt im Herbst 2016. „Auch wenn wir den Generationswechsel schon viel früher hätten einleiten müssen und nicht erst zwei Jahre vor der Heim-Weltmeisterschaft.“ Von der Mannschaft, die sich bei der EM in Frankreich blamiert hatte, hat er nur sieben Spieler berücksichtigt.
Steiler Aufstieg
Viele seiner früheren Weggefährten beim FC Tirol sind erstaunt, dass es Tschertschessow bis zum russischen Teamchef geschafft hat. Nur für den 54-Jährigen selbst scheint diese Karriere kein Zufall. „Schon 2002 bei meiner letzten WM als Tormann habe ich den Spielern gesagt, dass ich als Teamchef zurückkommen werde“, erzählte Tschertschessow im Jagdhof in Neustift im Stubaital, wo sich die Russen gerade auf die WM vorbereiten.
Wenn diese Geschichte nicht stimmen sollte, so ist sie zumindest gut erfunden. Kein Schmäh sind hingegen andere Anekdoten aus seiner Zeit in Tirol, wo Stanislaw Tschertschessow noch immer eine Wohnung hat.
So hatte der heutige russische Teamchef dereinst mitten im Spiel sein Tor Richtung Seitenlinie verlassen, weil er vom damaligen Tirol-Coach Didi Constantini lautstark zurechtgewiesen worden war.
Ein anderes Mal hatte Tschertschessow das Kunststück zuwege gebracht, Zoran Barisic aus 50 Metern Entfernung einen Golfball auf den Kopf zu donnern, weshalb Barisic das Europacupspiel gegen Celtic verpasste.
Ähnliches Schussglück bräuchte Russland wohl jetzt auch bei der Heim-WM, um das Minimalziel Achtelfinale zu erreichen – zugleich der größte Erfolg in der WM-Geschichte der Russen. „Wir haben noch nie bei einer WM die Vorrunde überstanden“, weiß Tschertschessow.