Drohendes WM-Aus abgewendet: Messis Jubel und Argentiniens Tränen
Von Harald Ottawa
Man merkte die Angst schon bei der Nationalhymne. Die Angespanntheit, die Furcht vor einem neuerlichen Versagen. Schon bald war klar, dass die gewandten Beine von Lionel Messi gegen Mexiko es richten müssen.
Sie taten es. Der 35-Jährige befreite sein Land von der ungemein großen Last, schoss beim 2:0-Sieg das erste Tor selbst und servierte das zweite ausgerechnet Enzo Fernandez, den zumindest argentinische Medien als legitimen Nachfolger sehen. Das drohende WM-Aus war abgewendet worden. Vorerst einmal.
Alles wieder gut?
Wohl schon. Weil Argentinien in den Gefühlswelten des Sports und des Fußballs im Besonderen nicht zwischen Frust und Freude taumelt, sondern zwischen Trauer und Euphorie.
Und diese gibt es seit gestern mittlerweile wieder im Lande des zweifachen Weltmeisters. In Buenos Aires waren die Straßen gefüllt mit Menschen, die feierten, als wären ihre Helden ein drittes Mal Weltmeister geworden. Und wenn es schon Huldigungen gibt, dann passt die Szenerie des Samstags schon richtig in ein Heldenepos. Ausgerechnet Messi erlöste sein Land. Und das mit einem Rekordtor, mit dem er zu einem Nationalhelden aufschloss, dessen Todestag sich am Freitag zum zweiten Mal gejährt hatte: Diego Maradona. Natürlich zog die Zeitung La Nación sofort die richtigen wie sentimentalen Schlüsse: "Ein Schuss, der Leo mit acht Toren in 21 WM-Spielen neben die ewige Zehn stellt. Bei beiden die gleichen Zahlen."
An die besagte (alte) Nummer zehn wurde ebenso viel gedacht. Verteidiger Nicolas Otamendi teilte auf den sozialen Medien ein Video, das zeigt, wie die ganze Mannschaft auf Bänken und Tischen hüpft und ein Lied zu Ehren von Argentinien und speziell zu Ehren von Messi und Maradona singt. "Ich will die dritte gewinnen, ich will Weltmeister werden", heißt es unter anderem.
Tränenreich
"Die Familie leidet, die Freunde leiden. Es ist sehr emotional, die Burschen spielen zu sehen", erklärte Coach Lionel Scaloni, der selbst mit dem damaligen Teenager Messi schon bei der WM 2006 die Fußballschuhe schnürte. Wie auch Assistenztrainer Pablo Aimar, der nach Messis Führungstor gar Tränen vergoss.
Trotz Ausnahmezustand, der in anderen, weniger südlichen Ländern vielleicht nur ein Aufatmen bedeutet hätte: Das Damokles-Schwert kreist noch immer über den „Gauchos“, die nun dem „Finale“ gegen Stürmerstar Robert Lewandowski und dessen Polen entgegenblicken. „Wir wissen, dass wir einen wichtigen Schritt gemacht haben, aber uns ist bewusst, dass ein weiterer folgen muss, um das erste Ziel zu erreichen“, sagt Messi. Gewinnt Argentinien am Mittwoch auch gegen Polen, sind die Südamerikaner im Achtelfinale. Ein Remis könnte zu wenig sein, deshalb soll es verhindert werden. Damit es wieder Tränen gibt. Freudentränen.