Ottakringer Straße: Erst wurde geschimpft, dann gejubelt
Von Julia Schrenk
Sie schimpften vulgär auf Kroatisch und fuhren sich durch die Haare, wippten eingewickelt in Fahnen mit den Beinen und zogen zur Beruhigung an ihren Shishas.
Beim Halbfinalspiel zwischen England und Kroatien waren am Mittwoch alle Augen auf die kroatischen Fans in der Wiener Straße gerichtet. Wie berichtet, war es beim Spiel zwischen Kroatien und Russland am vergangenen Samstag zu Ausschreitungen gekommen: Fans hatten bengalische Feuer gezündet, eine 20-Jährige wurde mit Verdacht auf Verlust der Hörfähigkeit auf einem Ohr ins Krankenhaus gebracht, eine 21-Jährige drohte, auf einem Auge zu erblinden, weil ein Böller in ihrer Nähe gezündet wurde. Insgesamt waren sechs Menschen verletzt, 78 Personen angezeigt worden. Fahnen des faschistischen Ustascha-Regimes waren gehisst worden, ein Foto von einem Mann mit ausgestrecktem rechten Arm kursierte.
Am Mittwoch kam die Polizei schon gegen 19.30 Uhr mit Bussen auf die Ottakringer Straße. 350 Personen waren im Einsatz – inklusive Eliteeinheit Wega und Diensthundestaffel. Die Polizisten hatten sich vor den kroatischen Cafés, die das Spiel übertrugen, positioniert, außerdem an den Kreuzung zu den Querstraßen der Ottakringer Straße. Anrainerin Tina schaute vor Matchbeginn vor das Haus, ihr Auto hatte sie nach den Krawallen am Samstag vorsichtshalber weggestellt. Die Ottakringer Straße war auf beiden Seiten bis etwa 23.30 Uhr gesperrt. Bis auf einzelne Übertretungen nach dem Pyrotechnikgesetz, Bengalen und Rauchbomben, aber diesmal keine Böller, hatten die zahlreichen Beamten wenig zu tun. Diesmal wurde der Sieg zwar nicht ruhig, aber durchwegs friedlich gefeiert, berichtete Polizeisprecher Patrick Maierhofer.
Zittern bis zum Schluss
Nachdem England in der 5. Minute in Führung ging, war die Stimmung aber zunächst betreten. „Oida, wir verlieren!“, rief eine Verzweifelte in der Halbzeit der 26-jährigen Annemarie vor dem Club „Face“ zu. „Heast, wir verlieren fix nicht“, versuchte sie der Wirt des Lokals zu beruhigen. Die 22-jährige Laura weiß auch, warum: „Die letzten beiden Spiele waren wir auch hinten und haben dann gewonnen. Wir können nicht gewinnen, wenn wir vorne sind.“ Nachsatz: „Aber wenn wir verlieren, dann wird's arg hier.“
Die Anspannung war den Fans ins Gesicht geschrieben. In der Halbzeit blieben sie wortkarg. Der 22-jährige Dominik packte zwischenzeitlich die Palme vor dem Café am Krawattl und schimpfte auf Kroatisch mit Zusatz „oida“. Selbst die vom Wirt angestimmten Fangesänge blieben zunächst unerwidert.
Solange, bis Mario Mandzukić in der 108. Minute das 2:1 schoss. Ab diesem Zeitpunkt wechselten sich die „Mi Hravati“-Chöre (wir Kroaten) nur noch mit den „Finale“-Gesängen ab. Die Fans zogen auf die Straße, sie hupten und grölten. Geschimpft hat dann niemand mehr – weder auf Kroatisch noch auf Deutsch.