Sport

Der Tiroler Gipfelsieg über den Tibeter Giganten

Eigentlich hätte es David Lama sein lassen müssen. Und niemand hätte es ihm verübeln können, keiner hätte ihm jemals einen Vorwurf gemacht, wenn er es nicht auf den Gipfel des Lunag Ri geschafft hätte. „Der Berg ist immer der Stärkere“, pflegt der Tiroler Alpinist zu sagen. Und dieser Berg, der sich vor ihm auftürmte, der präsentierte sich als richtiger Gigant.

Mit seinen 6895 Metern mag der Lunag Ri neben den mächtigen Achttausendern und den anderen Riesen des Himalaja-Hauptkammes vielleicht ein wenig unter gehen, aber in der Szene der Extrembergsteiger galt dieser Berg seit jeher als eine der höchsten Herausforderungen. Kein Mensch hatte den Lunag Ri bislang bezwingen können, David Lama hatte bereits drei Mal sein Glück versucht – und war drei Mal relativ klar gescheitert.

Bei seinem letzten Anlauf hatte der Tiroler knapp 300 Meter unter dem Gipfel umkehren müssen. „Ich hätte es vielleicht ganz hinauf geschafft, aber wahrscheinlich wäre ich dann nicht mehr runter gekommen“, erzählt der 28-Jährige. „Mit jedem gescheiterten Versuch ist die Sehnsucht noch größer geworden, es einmal auf den Lunag Ri zu schaffen. Mit der Zeit entwickelt man zum Berg eine Beziehung.“

Alle Inhalte anzeigen

30 Grad unter Null

Das muss man wissen, um David Lamas unbändigen Drang nach oben zu verstehen. Und um nachvollziehen zu können, weshalb der Tiroler nun im Oktober erneut Richtung Gipfel aufbrach, obwohl die Wettervorhersage wenig Anlass zur Hoffnung gab. Es hatte 30 Grad unter Null, das ist um 10 Grad kälter als normal um diese Jahreszeit. Der Wind blies mit bis zu 80 km/h. Dass die Schneeauflage am Lunag Ri vergleichsweise gering war, kam noch erschwerend hinzu. „Die Verhältnisse waren jetzt wirklich nicht besonders gut“, sagt Lama, „aber es war zugleich auch das letzte kleine Wetterfenster für eine Besteigung.“

Es sollte sich bezahlt machen, dass Lama den Gipfelsturm ein halbes Jahr lang penibel durchgespielt hat. Dass er sich neue Kletter-Techniken angeeignet hat, um im Alleingang schneller voran zu kommen. Dass er sein Gepäck auf ein Minimum (zehn Kilo) reduziert hat. Und dass er in den brenzligen Situationen, die er bei seinem dreitägigen Aufstieg auf den Lunag Ri meistern musste, stets die richtigen Entscheidungen getroffen hat.

Alle Inhalte anzeigen

24 Stunden im Biwak

Wie etwa den ersten Abschnitt mitten in der Nacht in Angriff zu nehmen. „Weil untertags immer wieder Eislawinen und Steine runter kommen.“ Ein geschickter Schachzug von Lama war es auch, im ersten Biwak in 6400 Metern Höhe gleich 24 Stunden auszuharren. „Da habe ich sehr viel Kraft getankt.“ Und schließlich fand der Tiroler auch an der bislang unbekannten letzten Steilwand die richtige Route. „Es ist alles aufgegangen, das heißt auch, dass sehr viel zusammen gespielt hat. Denn du hast dort oben keinen Spielraum, es dürfen keine Fehler passieren“, erklärt Lama.

Alle Inhalte anzeigen

Deshalb hielt sich der Tiroler auch gar nicht lange am Gipfel des Lunag Ri auf und auch seine Gefühle zurück. Denn er wusste, dass gerade einmal die Hälfte des Weges geschafft waren. „Zuerst ist der Gipfel das Ziel, wenn du oben bist, ist das Ziel zu überleben und gesund runter zu kommen.“

David Lama hat sein Solo-Abenteuer heil überstanden. Mittlerweile ist auch das Gefühl in den Zehen wieder zurück, die zwischenzeitlich durch die Kälte ziemlich beleidigt waren. Dafür ist eine gewisse Leere da. Wie immer, wenn er ein lang ersehntes Ziel verwirklicht hat. „Irgendwie vermisse ich die großen Berge schon wieder.“

Alle Inhalte anzeigen