Das Jahr seines Lebens: Der Reifeprozess des Dominic Thiem
Alles ist beim letzten Tennisturnier der Saison exklusiver – auch die Trainingspartner. Fünf Stunden übte Dominic Thiem vor Ort in London an den letzten beiden Tagen vor den ATP Finals. Zuerst stand auf der anderen Seite des Netzes Novak Djokovic, die Nummer eins der Welt. Gestern prügelte der 25-jährige Niederösterreicher drei Stunden lang auf die Nummer fünf, Alexander Zverev, ein.
Video: Kamerakind Dominic Thiem filmt seine Gegner
Thiem bleibt es vorbehalten, den Showdown der besten acht Profis der Saison am Sonntag gegen den Südafrikaner Kevin Anderson zu eröffnen (15 Uhr MEZ/live Sky Sport). „Wenn die Besten der Besten zusammenkommen, willst du dir erst recht keine Blöße geben“, sagt Thiem, der 2018 mehr Turnieren (24) als die anderen sieben Teilnehmer bestritten hat.
Das liegt einerseits daran, dass der 25-Jährige der zweitjüngste im Feld ist nach Zverev (21). Wohl aber auch am erneut straffen Turnierplan seines Trainers. Günter Bresnik hat Sätze geprägt wie: „Ich kenne niemanden, der durch Schonung besser geworden ist.“ Oder: „Das Geheimnis unseres Erfolgs ist, dass es nicht wirklich eines gibt. Alles ist harte Arbeit.“
Die harte Arbeit mündete 2018 in der besten Saison seiner Laufbahn. Im KURIER blickt Dominic Thiem noch einmal zurück – in fünf aufreibenden Spielsätzen.
1. Satz
Während in Kitzbühel abgefahren wird, schlägt die Elite bereits wieder im heißen Melbourne auf. Für Dominic Thiem enden die Australian Open „solide“. Zum sechsten Mal in Folge erreicht er bei einem Grand-Slam-Turnier die zweite Woche (Achtelfinale). Die frühen Belagswechsel enden mit unterschiedlichen Resultaten: In Buenos Aires (Sand) gewinnt er sein erstes Turnier 2018, zurück auf Hartplatz gelingt nicht mehr viel.
2. Satz
Der Frühling in Europa gehört den Sandplatzspielern, und die Tenniswelt wartet auf Fortsetzungen der Rivalität zwischen Thiem und Rafael Nadal. Der Sandplatzkönig demütigt seinen legitimen Thronfolger früh (0:6, 2:6 in Monte Carlo), doch der Österreicher schlägt in Madrid zurück. Im Viertelfinale beendet Thiem die Serie des Spaniers nach zuvor 50 gewonnenen Sätzen auf Sand.
Alles wartet auf den Gipfel bei den French Open. Davor scheitert Thiem in Rom überraschend in Runde eins („Wenn man bedenkt, was ich für Weltranglistenpunkte habe liegen lassen, gibt’s 2019 noch Luft nach oben.“). Während Nadal trainiert, spielt Thiem unmittelbar davor in Lyon. Und gewinnt. In Paris treffen die beiden einander im Endspiel. Der Spanier siegt klar.
„Ich war meinem ganz großen Ziel, dem Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier, so nahe wie noch nie. Das Finale war okay, keine Topleistung“, sagt Thiem, dessen Spiel im ORF bis zu 600.000 Menschen sehen. „Wir haben danach ganz offen besprochen, was ich gegen Nadal besser machen muss.“ Ein Satz, der noch wichtig wird. In Satz vier.
3. Satz
Im Tennis-Sommer geht’s ins Grüne. Doch der heilige Rasen von Wimbledon ist keine Reise wert. Verletzt muss Thiem in Runde eins aufgeben. Erstmals seit Juli 2016 (Wimbledon) erlebt er bei einem Grand Slam nicht die zweite Woche. Ebenso mit einer Auftaktpleite endet der Ausflug nach Kitzbühel. Fortgesetzt wird die schwierigste Phase des Jahres mit Pleiten (Toronto) und Pech (Virus).
4. Satz
Die Erwartungen sind daher gering, als Thiem in New York ankommt. Doch dann ist er bei den US Open Teil des aufsehenerregendsten Tennismatches des Jahres. Viertelfinale, Arthur-Ashe-Stadium, 22.500 Zuseher, Night-Session. Größer wird es nicht mehr im Tennis. Als Thiem gegen Nadal nach 4:49 Stunden und fünf Sätzen den Smash ins Aus schlägt, ist die Sonne in Österreich gerade erst aufgegangen. Trotzdem sitzen 120.000 Menschen vor dem TV.
Video: Die Höhepunkte des epischen Viertelfinales bei den US Open
Thiem hat verloren und dennoch gewonnen: Sympathien und Anerkennung. „In Paris hatte ich noch zu viel Respekt vor seiner Fitness. Nun weiß ich, dass ich jeden langen Ballwechsel mitgehen kann. Es war eine bittere Niederlage, aber vielleicht wird sie in einigen Jahren eine der wichtigsten in meiner Laufbahn gewesen sein.“
Das Hoch nimmt er mit in die Heimat. Erstmals ist er der Hauptdarsteller bei einem großen Länderkampf. In Graz sichert Thiem gegen Australien den Aufstieg in die Daviscup-Weltgruppe.
5. Satz
Die Entwicklung zum kompletten Spieler setzt sich in St. Petersburg fort, wo erstmals in der Halle triumphiert. Der elfte Turniersieg ist der zweite auf Hartplatz. In der Stadthalle wird er gefeiert. Sein Potenzial erkennt auch die Wirtschaft. Bank Austria hat von David Alaba zu Thiem als Markengesicht gewechselt. Red Bull, sein neuer Partner, begleitet ihn seit Paris für eine Doku, die rund um die French Open 2019 ausgestrahlt werden soll.