Politik/Inland

Sobotka: "Ich bekenne mich ganz bewusst zu Erziehung"

KURIER: Sie scheinen in Ihrer Rolle als Nationalratspräsident schon so angekommen zu sein, dass man ganz vergessen hat, dass Sie einmal Innenminister waren. Legen Sie es jetzt bewusst philosophischer an?

Wolfgang Sobotka: Jedes Amt hat ein eigenes Anforderungsprofil. Der Präsident des Nationalrates muss sich nicht jeden Tag zu jedem Thema äußern. Sollte er auch nicht.

Österreich begeht 2018 ein vielfältiges Gedenkjahr. Als Historiker scheinen Ihnen die Auftritte dazu speziell zu taugen.

Weil ich es im Sinne der Auseinandersetzung mit unserer Geschichte für wichtig halte. Wer sich nicht seiner Geschichte stellt, den stellt die Geschichte.

Am Montag feiern wir 100-jähriges Gründungsjubiläum der Republik. Politikwissenschaftler Thomas Hofer konstatierte kürzlich eine „demokratiepolitische Wohlstandsverwahrlosung“. Sind wir zu unzufrieden?

Vor 100 Jahren herrschte eine ungeheure Begeisterung für diesen Wechsel hin zur republikanischen Demokratie, die Menschen waren zu Tausenden auf der Straße. Heute, glaube ich, ist das Engagement der Leute ein ebenso großes, es artikuliert sich nur anders. Unsere demokratische Verfasstheit hat sehr breite Wurzeln geschlagen. So gesehen teile ich diesen Befund von Thomas Hofer nicht vollinhaltlich. Ich würde das positiver sehen, wir haben eine hohe Wahlbeteiligung, wir haben ein hohes bürgerliches Engagement, wenn es darum geht, sich an Diskussionen zu beteiligen.

Voriges Jahr haben Sie noch als Innenminister den Justizpalastbrand 1927 in einer eigenen Ausstellung thematisiert. Da wurde gezeigt, wie der Krieg der Worte in gewalttätiger Auseinandersetzung gipfelte. Auch jetzt steigen, befeuert unter anderem durch die sozialen Medien, die Aggressionen. Könnte es wieder brenzlig werden?

Wir stehen da vor großen Herausforderungen. Viele wollen nur noch das hören, was ihrer Haltung entspricht. In sozialen Medien werden Hemmschwellen überschritten. Daher gilt es, Grenzen zu setzen. Nicht nur in Österreich notwendig, sondern auch international.

Wie kommen wir da wieder raus? Sie haben ja kürzlich mehr gegenseitigen Respekt in der Politik gefordert.

Ich bemühe mich, das im Parlament einzufordern. Aber man muss auch ehrlich sein, es kommt einem manchmal etwas über die Lippen, das vielleicht nicht so respektvoll erscheint. Die Politik hat Vorbildwirkung. Wenn wir einen respektvollen Umgang in der Zivilgesellschaft wollen, muss die Politik das vorleben. Zusammenhalt muss man schlussendlich vom Kindergarten an und über die Familie leben. Es geht um Erziehung, ein Wort, das vielleicht schon etwas schal geworden ist. Ich bekenne mich ganz bewusst zu Erziehung – bei Kindern und manchmal auch bei Erwachsenen.

Gab es zu viel Laissez-faire in den letzten Jahren, vielleicht durch die Achtundsechziger?

Es gab eine Tendenz, auf eine sehr restriktive pädagogische Situation ganz anders zu reagieren. Wir spüren, dass es jetzt wieder notwendig wird, auch Grenzen zu setzen. Es gibt gute Grenzen, die man nicht einfach überschreiten darf.

Sind Autoritäten verloren gegangen, auch in der Pädagogik?

Man kann Autorität nicht erzwingen. Manches liegt auch in der Persönlichkeit des Einzelnen. Wir sollten alles daran setzen, junge Menschen zu ermuntern, ihre Persönlichkeit zu entwickeln.

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Zurück zum Parlament: Vor 100 Jahren hatte es eine wichtige Rolle. Jetzt ärgert sich die Opposition, dass es zu wenig ernst genommen wird.

Opposition und Regierungsfraktionen werden dort und da immer unterschiedliche Standpunkte haben. Das macht ja auch die Lebendigkeit des Parlamentarismus aus. Ich stelle unserer Opposition und der Regierung ein durchaus passables Zeugnis aus.

Allen Ministern? Einer Ihrer Nachfolger, Minister Kickl stößt auf Kritik. Finden Sie alles gut, was er macht?

Der Präsident des Nationalrates ist nicht aufgerufen, Zensuren über einzelne Politiker auszustellen.

Wie geht es Ihnen mit dem UN-Migrationspakt? War es richtig, dass die Regierung nicht unterschrieben hat?

Es wurden sachliche Gründe vorgebracht, sich das genau anzusehen. Der Schritt war nachvollziehbar. Dass viele das anders sehen, liegt in der Natur der Sache.

Wir gedenken gerade der Novemberpogrome, der Beginn des Holocaust. Wie kann man verhindern, dass so etwas jemals wieder geschieht?

Wir haben in Österreich schon viel getan, was uns aber trotzdem nicht ruhig schlafen lassen darf. Über Antisemitismus, und seien es nur flapsige Äußerungen, darf man niemals hinwegsehen. Auch Medien haben da große Verantwortung.

So wie Sie ihre Rolle jetzt anlegen, könnte man das auch als Vorbereitung für eine Hofburg-Kandidatur auslegen, oder?

Ich bin mit meiner jetzigen Aufgabe sehr zufrieden.

KURIER Talk mit Nationalratspräsident Sobotka

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