Teuerung: Immer mehr Menschen auf Sozialleistungen angewiesen
„Die Teuerung ist bei den Menschen voll angekommen“, sagt Klaus Schwertner geschäftsführender Direktor der Caritas der Erzdiözese Wien. Das spüre man auch bei den Ausgabe- und Beratungsstellen der Caritas, die laut Schwertner wie Seismographen den Druck in der Gesellschaft messen würden. Am Freitagvormittag sprachen deshalb Vertreter der Caritas über die zunehmende Zahl an Klienten und forderten die politischen Verantwortungsträger auf, frühzeitig Maßnahmen zur Armutsbekämpfung zu ergreifen.
Enorme Belastung und wachsender Druck
Aufgrund von steigenden Kosten bzw. hohen Jahresrechnungen sind immer mehr Menschen gezwungen, im Alltag zu sparen und nur mehr nötigste Ausgaben zu tätigen. Diese Entwicklung ist auch bei Anlaufstellen der Caritas spürbar. „Es kommen auch jene, die bisher gut ausgekommen sind“, erzählt Doris Anzengruber, Leiterin der Sozialberatung der Caritas der Erzdiözese Wien. „Wir merken nicht nur bei Beratungsgesprächen, dass das soziale Netz Risse bekommen hat, wir merken das auch an den Zahlen“, sagt Anzengruber. Im Durchschnitt hätten Klienten der Sozialberatung nach Abzug der Fixkosten 7,50 Euro pro Tag zur Verfügung - und die Zahl der Betroffenen nehme zu. Im Vergleich zum letzten Jahr spricht Anzengruber von einem Anstieg in der Höhe von 30 Prozent. Im Burgenland habe sich die Zahl der Klienten verdoppelt.
In Anspruch genommen wird das Angebot vor allem von Alleinerzieherinnen, Studenten, Pensionisten, aber auch zunehmend von Flüchtlingen aus der Ukraine. „Es geht nicht um Prozentpunkte, sondern um Schicksale von Frauen, Männern und erschreckend vielen Kindern“, sagt Schwertner. Die Schlangen vor den Ausgabestellen seien in den letzten Wochen „länger und länger“ geworden, schildert Schwertner und appelliert deswegen an die Verantwortlichen in der Politik: Die Bundesregierung solle „endlich einen Rettungsschirm spannen, der Menschen davor schützt in die bittere Armut abzustürzen“. „Die Belastung ist enorm, der Druck wird immer größer“, so Anzengruber.
Langfristige Maßnahmen
Auch Caritas-Präsident Michael Landau weist darauf hin, dass die Preissteigerungen für viele Menschen nicht mehr tragbar seien. Konkret fordert die Caritas eine Reform der Sozialhilfe und des Familienbonus, eine jährliche Anpassung der Sozialleistungen an die Teuerungsrate und eine Arbeitsmarktreform, die die Menschen besser stelle und nicht schlechter. Zudem solle die Nettoersatzrate dauerhaft auf ein existenzsicherndes Niveau erhöht werden.
Die Regierung habe das Problem zwar bereits erkannt, aber „Einmalzahlungen sind nicht genug, denn die Inflation steigt auch nicht nur einmal, sondern täglich - bei jeder Rechnung“, sagt Landau zu den im Dezember 2021 beschlossenen Maßnahmen. Er ist der Meinung, es brauche „Maßnahmen, die langfristig vor Armut schützen“.
Laut Schwertner wären die Mittel vorhanden, die Umsetzung sei vom politischen Willen, nicht vom politischen Können abhängig. „Wir können und sollen uns einen funktionierenden Sozialstaat leisten“, fordert Schwertner. Ausgaben zur Armutsbekämpfung würden bisher ein Prozent der staatlichen Sozialausgaben ausmachen. Eine Anpassung an die Inflation hält er für notwendig, da die Sozialleistungen sonst immer mehr an Wert verlieren würden.
Besondere Kritik übte Landau daran, dass Gutverdiener vom Familienbonus am meisten und arme Familien am wenigsten profitieren. Das sei eine Ungerechtigkeit und sollte geändert werden, verlangte er.