Politik/Inland

Nach dem Strache-Skandal: "Keine Reue, keine Schuldeinsicht"

KURIER: Herr Prantl, Heinz-Christian Strache hat nun eine Klage gegen die Aufdecker-Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“ und des „Spiegels“ eingebracht. Welche Chancen hat er mit der Klage?

Heribert Prantl: Nullkommanullnull. Die Klage ist ein reines Ablenkungs- und Tamtam-Manöver. Ich sehe ihr mehr als gelassen entgegen. Wenn diese Geschichte kein Fall für einen guten investigativen Journalismus ist, was ist es dann? Genau für Fälle wie diesen ist die Pressefreiheit geschaffen worden: Es geht um den Schutz der Demokratie. Die Publikation der rechtswidrig gedrehten Videos war und ist von herausragendem öffentlichem Interesse. Der Strache-Skandal – das Wort Ibiza-Skandal klingt mir fast zu niedlich – ist ein Lehrbuchfall, wie Publizität für die Achtung und die Fürsorge der Demokratie funktioniert.

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Mittlerweile arbeitet Strache an seiner Opferrolle. Lebt er in einer Parallelwelt?

Durch das Ergebnis der EU-Wahl ist er auch noch bestärkt worden. Wenn ihm zwischendurch vielleicht Zweifel gekommen sind, dann haben die 44.750 Vorzugsstimmen diese wegradiert. Strache ist wieder ganz der Alte. Von Schuldeinsicht, Reue oder Demut ist gar nichts da. Stattdessen findet man Rechthaberei und ein Finger zeigen auf andere. Ein bisschen Schuld daran ist auch der österreichische Wähler, der Strache trotz all dem seine Vorzugsstimme gibt.

Das Verhalten ist für einen deutschen Politikexperten ein Mysterium …

Es ist ein negatives Mysterium. Der österreichische Wähler ist für mich nicht zum ersten Mal ein Geheimnis. Natürlich kann man alle Erklärungen, die man in Frankreich, Deutschland oder in Italien für das Wählen von sogenannten Rechtspopulisten, die ich lieber extremistische Populisten nenne, auch hier anbringen: Da gibt es die Wähler, die das Gefühl haben, die Globalisierung zieht ihnen den Boden unter den Füßen weg. Es wird ihnen zu viel fremd. Das stimmt auch ein Stück weit. Die Gegenwart schrumpft. weil die Schnelligkeit mit der sich die Dinge ändern, die Gegenwart immer kleiner macht. Das macht den Leuten Angst. Warum der Rechtspopulismus in Österreich aber so früh und so heftig begonnen und dann auch angehalten hat, das habe ich mich schon zu Jörg Haiders Zeiten gefragt. Die Journalisten waren schon vor 30 Jahren kritisch, aber den Wähler hat diese Kritik nicht beeindruckt. Auch die prophetisch mahnenden Worte des ehemals großen Wiener Kardinals Franz König, die ein ganz klares Statement gegen die Haideristen und ihren ausländerfeindlichen Wahlkampf waren, beeindruckten die Wähler nicht. Die Art und Weise, wie dieses schöne Österreich gerne ins Braune greift, war und ist mir nie nachvollziehbar.

Haben Sie, als die Süddeutsche Zeitung vor drei Wochen das Video veröffentlich hat, gedacht, dass durch den Skandal in Österreich eigentlich kein Stein auf dem anderen bleibt?

Wenn so ein Bericht keine Erschütterung auslöst, dann weiß ich nicht, was Erschütterung auslösen soll. Von der Dimension ist das Ibiza-Video mit dem Spendenskandal von Helmut Kohl vergleichbar. Von den Ingredienzien, der Art und Weise, wie die FPÖ-Leute entlarvt wurden, war es noch viel mehr. Weil das Video einen Blick in die Abgründe und die Sümpfe des Denkens des Rechtsaußen-Politikers bietet.

Strache möchte das EU-Mandat gerne annehmen: Was würde ihn im EU-Parlament erwarten?

Ihn erwartet das, was Nigel Farage schon bisher erwartet hat: Die Ablehnung durch die Mehrheit des Parlaments. Strache wird in Brüssel keinen Stich machen. Er wird so randständig sein, wie andere seltsame Kantonisten auch, die Europa-Gegner und Europa-Hasser, die Rechtsaußen-Politiker von der Le-Pen-Partei und die aus Polen, die nicht auf dem Boden der europäischen Grundrechte stehen. Man kann nur hoffen, dass es ein einmaliges Schauspiel wird.

Wäre die Annahme des Mandats im Europäischen Parlament in Deutschland überhaupt noch möglich?

Es gäbe einen Orkan der Kritik. Wenn der Betroffene nicht eine Elefantenhaut hätte, könnte er diese Kritik nicht abschütteln, so wie es Strache momentan macht. Er hat immer noch zu viel Rückhalt im Land. Diese 44.750 Stimmen sind für Strache jetzt eine Leiter, mit der er versucht, aus dem Skandal hinauszuklettern.

In einer ausgeprägten Demokratie hätte ein Politiker nach einem Skandal von dieser Dimension keine Chance auf ein Comeback. Bei Strache ist das nicht auszuschließen. Hat Österreich einen anderen Zugang zur Politik?

Vielleicht ist man in Österreich nach einem schon so langen politischen und gesellschaftlichen Leben mit der FPÖ abgebrüht. In Deutschland haben wir die AfD erst seit kurzer Zeit sehr prominent im Parlament sitzen. Ich glaube schon, dass die Präsenz von populistischen Extremisten die Gesellschaft verändert. Das hat Sebastian Kurz nicht wahrhaben wollen. Es ist der große Denkfehler demokratischer Kräfte, dass sie glauben, man könne extremistische Populisten domestizieren. Österreich hat gezeigt und zeigt, dass dem nicht so ist. Diese Kräfte dringen in alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche ein und verändern die Sensibilität für die politische Kultur.

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Die SPÖ kann diesen Skandal nicht für sich nützen und sinkt in den Umfragen ab. Auch die SPD ist tief in der Krise. Warum ist in der Sozialdemokratie der Wurm drinnen?

In Österreich und auch in Deutschland ist es so, dass man nicht weiß, wofür diese sozialdemokratische Partei steht. Spätestens seit Gerhard Schröder ist die Identifizierbarkeit der Sozialdemokratie in Deutschland abhandengekommen. Und in Österreich? Wenn ich an die SPÖ zu Bruno Kreiskys Zeiten denke, dann hat die SPÖ von heute mit Kreiskys SPÖ nicht mehr viel zu tun. Genauso wie die SPD von heute nicht mehr viel mit der SPD von Willy Brandt zu tun hat. Es existiert kein europäischer Geist der Sozialdemokratie mehr, für den Kreisky und Brandt standen. Der Wähler steht da und sagt: „Mein Gott, die Sozialdemokratie! Mag ja sein, dass sie große Verdienste in der Vergangenheit hat, aber wofür ich sie heute brauche, weiß ich nicht.“

Die Grünen erleben einen Hype. In Deutschland liegen sie bei den Umfragen auf Platz 1. Werden die Grünen diese Umfrageergebnisse auch bei den Wahlurnen erzielen?

Grün ist das neue Rot. Die Grünen beerben die Sozialdemokraten auch als neue Volkspartei. Der nächste Wettbewerb um das Bundeskanzleramt in Berlin verläuft nicht zwischen der CDU/CSU und der SPD, sondern zwischen der CDU/ CSU und den Grünen.

Wird der nächste deutsche Bundeskanzler Grünen-Chef Robert Habeck sein?

Er hat zumindest reale Chancen. Als seinerzeit FDP-Chef Guido Westerwelle als Kanzlerkandidat angetreten ist, hat die ganze Republik gelacht. Wenn jetzt Robert Habeck oder Annalena Baerbock als Kanzlerkandidat/in antreten, wird kaum jemand lachen. Sie haben das Potenzial, zu Hoffnungsfiguren einer Bewegung zu werden, wie vor fünfzig Jahren Willy Brandt. Die Konkurrenz ist angeschlagen und die CDU-Kandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer hat keine Strahlkraft.

Wann wird in Deutschland gewählt?

Im Frühjahr 2020 – und wenn es die Wahl bis dahin nicht gibt, werden sich die Koalitionäre bis zum bitteren Ende durchschlagen.

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Wie lautet Ihr Tipp für die nächste Regierung in Österreich?

Sebastian Kurz ist ein wendiger und alerter Mensch. Er wird sich selber wahnsinnig viele Stimmen ausrechnen und wird eine bunte Koalition aus ÖVP, Grüne und Neos bilden.