Mindestsicherung: 765 Millionen Gesamtausgaben im Vorjahr
Im Jahr 2015 haben 284.374 Personen Mindestsicherung bezogen, das ist gegenüber dem Jahr davor ein Anstieg um 10,9 Prozent. Dies geht aus Zahlen des Sozialministeriums hervor, die der APA vorliegen. Im Schnitt wurden pro Person und Monat 331 Euro aufgewendet, insgesamt betrugen die Ausgaben der Bundesländer für die Mindestsicherung im Vorjahr 765,2 Millionen, ein Plus um 13,7 Prozent.
Mehr als die Hälfte der Mindestsicherungsbezieher (56 Prozent) lebt in Wien. Wenig überraschend fiel dort auch mehr als die Hälfte der Ausgaben, nämlich 483,5 Millionen Euro, an. Die Bezieherzahl ist indes in Vorarlberg am stärksten gestiegen, nämlich um 12,8 Prozent; gefolgt von der Steiermark mit einem Anstieg um 12,1 Prozent.
Die Zahl der Haushalte (Bedarfsgemeinschaften) nahm um 10,2 Prozent (auf 168.447) zu. Pro Bedarfsgemeinschaft wurden 2015 im Schnitt 568 Euro pro Monat für Lebensunterhalt und Wohnbedarf gezahlt. Tirol liegt dabei mit 809 Euro an der Spitze, auf Platz zwei steht Vorarlberg mit 763 Euro. Wien liegt mit 555 Euro leicht unter dem Schnitt, ebenso wie etwa Oberösterreich (484 Euro), das heuer eine Kürzung beschlossen hat; das Burgenland (322 Euro) deutlich.
38 Prozent der Personen, die Mindestsicherung bezogen, waren Frauen, 35 Prozent Männer, 27 Prozent (minderjährige) Kinder. Paare mit Kindern machten rund ein Drittel aus, Alleinerziehende 15,5 Prozent.
Die durchschnittliche sogenannte Verweildauer - also, wie lange jemand Mindestsicherung bezog - betrug 2015 pro Haushalt acht Monate. 16.000 Personen (12 Prozent) erhielten nach den Zahlen des Ministeriums Mindestsicherung zusätzlich zu einem (zu niedrigen) Einkommen.
Keine Zahlen nennt das Sozialministerium zur Gruppe der Asylberechtigten. Dies werde schlicht nicht erhoben, hieß es auf Nachfrage.
Fast ein Jahr schon dauert der Streit der Koalitionsparteien um die Mindestsicherung. Und schön langsam wird die Zeit knapp. Mit Jahreswechsel läuft der Bund-Länder-Vertrag zur "bedarfsorientierten Mindestsicherung" aus. Spätestens dann sollte ein Kompromiss gefunden sein, ansonsten müssten alle Länder eigenständige Regelungen beschließen.
Ob das gelingt, ist nach dem Krach zwischen Sozialminister Alois Stöger und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner fraglich – in Wien bereitet man jedenfalls schon einen "Plan B" vor, Niederösterreich hat angekündigt, eine Verschärfung im Alleingang beschließen zu wollen.
Was SPÖ und ÖVP wollen und worum es eigentlich genau geht - Kurier.at klärt die wichtigsten Fragen zur Mindestsicherung.
- Wieviel gibt Österreich für die Mindestsicherung aus?
- Wie hoch ist die Mindestsicherung?
- Wer hat Anspruch auf die Mindestsicherung?
- Und wie viele Menschen haben sie nun tatsächlich erhalten?
- Wieviele davon waren Asylberechtigte?
- Wo leben die meisten Mindestsicherungsbezieher?
- Wie lange kann man die Mindestsicherung beziehen?
- Kann man den Anspruch auf Mindestsicherung auch verlieren?
- Was ist der Unterschied zum Arbeitslosengeld und zur Notstandshilfe?
- Was ist unter Residenzpflicht zu verstehen und wieso pocht Wien so darauf?
- Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen in der Koalition?
- Wie lauten die aktuellen Regelungen in den Bundesländern?
Die Mindestsicherung - einfach erklärt
Seit 2010 gibt es die "Bedarfsorientierte Mindestsicherung" in Österreich. In absoluten Zahlen wurden vergangenes Jahr 870 Millionen Euro dafür aufgewandt, 2013 waren es noch knapp 600 Milionen Euro. Der Betrag entspricht 0,79 Prozent der gesamten Sozialausgaben, 2014 betrug der Anteil noch 0,71 Prozent. Wobei dies sowohl 2014 als auch 2015 jeweils 0,4 Prozent des gesamten Budgets entspricht. Zum Vergleich: 2015 gab Österreich fast 1,8 Milliarden Euro für den Bereich "Freizeitgestaltung, Sport, Kultur, Religion" aus.
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung besteht grundsätzlich aus zwei Teilen: 628,32 Euro Grundbetrag und 209,44 Euro Wohnkostenanteil pro Monat. Zusammen sind das 837,76 Euro. Personen in Lebensgemeinschaften bekommen gemeinsam den 1,5 fachen Betrag: 1.256,64 Euro. Für Kinder gibt es aktuell jeweils 150,80 Euro dazu. Wobei die ersten drei Kinder in der Regel die Leistung stärker erhöhen, als weitere Kinder. (Bei der Familienbeihilfe gilt das umgekehrte Prinzip - für das zweite Kind wird mehr Familienbeihilfe ausgezahlt als für das erste usw.)
Die tatsächliche Höhe der Mindestsicherung ist aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich (mehr dazu unten). Unterschiede entstehen beispielsweise dadurch, dass Wien, die Steiermark, Salzburg, Tirol und Vorarlberg zusätzliche Leistungen für das Wohnen gewähren.
Die Mindestsicherung ist eine Sozial-, keine Versicherungsleistung. Anspruch auf die sogenannte "bedarfsorientierte Mindestsicherung" hat nur, wer das eigene Vermögen (bis maximal 4139,13 Euro) aufgebraucht hat, seine Lebenshaltungskosten nicht selbst bezahlen kann und arbeitswillig ist.
Neben österreichischen Staatsbürger sind ebenfalls anspruchsberechtigt: EU- bzw. EWR-Bürger, die sich als Arbeitnehmer in Österreich befinden oder schon länger als fünf Jahre in Österreich wohnen; Drittstaatsangehörige, die bereits länger als fünf Jahre rechtmäßig in Österreich leben; und anerkannte Flüchtlinge. Asylwerber haben keinen Anspruch auf Mindestsicherung.
2015 haben 284.374 Personen die Mindestsicherung bezogen, das ist gegenüber dem Jahr davor ein Anstieg um 10,9 Prozent. 38 Prozent der Personen, die Mindestsicherung bezogen, waren Frauen, 35 Prozent Männer, 27 Prozent (minderjährige) Kinder. Paare mit Kindern machten rund ein Drittel aus, Alleinerziehende 15,5 Prozent.
Erst bei einem positiven Asylbescheid sind Flüchtlinge bezugsberechtigt. Wieviele Asylberechtigte die Mindestsicherung in Österreich beziehen, dazu gibt es jedoch nach wie vor keine offiziellen Zahlen aus dem Sozialministerium. In Wien waren 2015 17 Prozent aller Mindestsicherungsempfänger Asylberechtigte (31.505 Personen). Im ersten Halbjahr 2016 gab es bereits 6.420 sogenannte Neuanfälle aus dieser Gruppe.
Grundsätzlich ist der Bezug der Mindestsicherung nicht begrenzt. Die durchschnittliche sogenannte Verweildauer - also, wie lange jemand Mindestsicherung bezog - betrug 2015 pro Haushalt acht Monate. 16.000 Personen (12 Prozent) erhielten nach den Zahlen des Sozialministeriums Mindestsicherung zusätzlich zu einem (zu niedrigen) Einkommen.
Im Gegensatz zur bis 2010 geltenden Sozialhilfe müssen arbeitsfähige Bezieher zur Aufnahme einer Arbeit bereit sein. Hier gelten die Zumutbarkeitsbestimmungen wie bei Beziehern von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Wird eine zumutbare Arbeit nicht angenommen, kann die Mindestsicherung von der gewährenden Stelle bis zur Hälfte gestrichen werden.
Ausnahmen betreffen: Menschen, die das ASVG-Regelpensionsalter erreicht haben (Frauen: 60 Jahre, Männer: 65 Jahre); Betreuungspflichtige von Kindern, die das dritte Lebensjahr noch nicht erreicht haben; Menschen, die pflegebedürftige Angehörige ab Pflegestufe 3 betreuen; Bezieher, die Sterbebegleitung oder Begleitung von schwerstkranken Kindern leisten; Bezieher, die einer Ausbildung nachgehen, die vor dem 18. Lebensjahr begonnen wurde (gilt nicht für Studium).
Die Entscheidung, ob eine Bedarfsorientierte Mindestsicherung gewährt wird, trifft die jeweilige Bezirksverwaltungsbehörde (z.B. Bezirkshauptmannschaft, Magistrat). Diese nimmt auch die Auszahlung vor.
Die Mindestsicherung ist die letzte Sicherungsstufe im Sozialstaat Österreich. Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer innerhalb von zwei Jahren 52 Wochen einer Beschäftigung, die arbeitslosenversicherungspflichtig ist, nachgegangen ist. Unter 25-Jährige können Arbeitslosengeld beanspruchen, wenn sie innerhalb eines Jahres 26 Wochen beschäftigt waren. Die Höhe des Arbeitslosengeldes bemisst sich am letzten Einkommen. Der Grundbetrag beläuft sich auf 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Beträgt das Arbeitslosengeld weniger als 872,31 Euro erhält man zusätzlich Ergänzungsbeiträge; Arbeitslose mit Kindern erhalten Familienzuschläge. Die Anspruchsdauer ist befristet. Grundsätzlich 20 Wochen, maximal aber für ein Jahr.
Die Notstandshilfe kann nach Ende des Arbeitslosengeld-Bezugs beantragt werden und wird jeweils für maximal 52 Wochen bewilligt. Liegt das Arbeitslosengeld (ohne Familienzuschläge) über dem Ausgleichszulagenrichtsatz von monatlich 872,31 Euro, beträgt die Notstandshilfe 92 Prozent des vorher bezogenen Arbeitslosengeldes.
Geht es nach Wien, soll die Übersiedlung in die Hauptstadt für Asylberechtigte künftig nicht mehr so einfach möglich sein. Die Residenzpflicht - also die Bindung der Mindestsicherung an den Wohnort - soll hier Abhilfe schaffen. Der Handlungsbedarf ist akut: Allein im ersten Halbjahr 2016 sind laut Sozialstadträtin Sonja Wehsely 54 Prozent aller asylberechtigten Erstbezieher aus einem anderen Bundesland zugezogen.
Der Forderung nach einer Residenzpflicht würde von der ÖVP aktuell jedoch nur mit einer damit verbundenen Einschränkung der Leistungen zustimmen.
Am Donnerstag vergangener Woche erklärte Sozialminister Alois Stöger, er wäre der ÖVP „maximal entgegen gekommen“, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner wäre auch zu einem Kompromiss bereit gewesen, hätte sich damit jedoch nicht in seiner eigenen Partei durchsetzen können.
Wie sah dieser Kompromiss also aus? Im Gegensatz zu früheren Modellen hätte Stöger bei arbeitsfähigen Vollbeziehern der Mindestsicherung einem tatsächlichen Deckel bei 1.500 Euro im Monat zugestimmt. Familien mit mehreren Kindern hätten also auch inklusive Wohnkosten den Deckel nicht überschreiten können. Eine Sachleistung, die die SPÖ bis dahin stets zusätzlich gewähren wollte. Dazu hätten Asylberechtigte nur mehr dann den vollen Satz (837 Euro für Alleinstehende) bekommen, wenn sie eine Integrationsvereinbarung unterzeichnen (ansonsten wären es nur 520 Euro – siehe „Vorarlberger Modell“). Laut Stöger wären Mitterlehner und acht Länder diesem Kompromiss dabei gewesen, was man im Büro des Vizekanzlers jedoch bestritt. Die aktuelle ÖVP-Forderung - als „Mindestsicherung light“ in Varianten (zuletzt sprach man von "Mindestsicherung 1") seit April dieses Jahres am Tisch - laute noch immer: Die volle Mindestsicherung solle nur als jene ausbezahlt werden, die in den letzten sechs Jahren zumindest fünf Jahre in Österreich waren. Andernfalls solle es nur 560 Euro im Monat geben.
Auch Niederösterreich beharrt auf einer niedrigeren Leistung für Zuwanderer. Sollten die Forderungen des Landes nicht erfüllt werden, werde man diesen in einem Monat selbständig beschließen, hieß es.