Kindergeld: Brüssels Mahnschreiben landet bald in Wien
Es ist ein Interessenskonflikt mit Ansage – zwischen Österreichs Regierung und der EU-Kommission. Nach dem der Nationalrat in Wien am Mittwoch die Indexierung der Familienbeihilfe beschlossen hat, steht Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren ins Haus. „Sobald das Gesetz endgültig verabschiedet und bekanntgemacht ist, würde die Kommission ihre nötigen Schlüsse ziehen und von von ihren Möglichkeiten als Hüterin der Verträge Gebrauch machen“, sagt EU-Kommissionssprecher Christian Wigand zum KURIER. Seit Monaten wiederholt EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen die grundsätzliche Position der Kommission: Eine Indexierung sei nach EU-Recht nicht erlaubt. „Es sei daran erinnert,“ schrieb sie in einer Antwort auf eine Anfrage des EU-Parlaments, „dass gemäß dem Vertrag kein Arbeitnehmer aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert werden darf. Und Kommissionssprecher Wigand ergänzt: „Das ist eine Frage der Fairness: Wenn Arbeitnehmer ihre Beiträge in das nationale Wohlfahrtssystem einzahlen, müssen sie auch dieselben Beihilfen erhalten. Die Kindergeldleistung ist keine Sozialleistung.“
Mahnschreiben an Wien
Sobald das Gesetz mit der Unterschrift des Bundespräsidenten in Kraft ist, wird die EU-Kommission es auf seine Vereinbarkeit mit EU-Recht hin überprüfen. Und zumal es schon davor Kritik aus Brüssel gab, dürfte sehr bald ein Mahnschreiben der Kommission bei der Regierung in Wien eintreffen. „Das kann sehr schnell gehen", berichtet ein Rechts-Experte dem KURIER, „besonders dann, wenn die Kommission diesem Bereich hohe politische Priorität bemisst. Anders gesagt, wenn sie es schlimm findet, wird sie rasch agieren.“ Damit wäre das Vertragsverletzungsverfahren formal eröffnet.
Zwei Monate hat die türkis-blaue Regierung dann Zeit, auf dieses Schreiben zu antworten und nachzubessern. Kommt es zu keiner Annäherung, erhält Wien nach einem abermaligen Brief aus Brüssel nochmals eine zweimonatige Frist, um zu reagieren. Erst dann würde die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage einreichen. Ziel der Kommission sei es aber nicht, zu klagen, „sondern das Problem zu lösen“, hält der EU-Rechtsexperte fest. Im Sinne der Kommission also: die Indexierung des Familiengeldes, wie sie Österreich einführt, wieder zu kippen.
Einsparung von 114 Millionen Euro
2016 wurden in Österreich rund 4,77 Milliarden Euro an Familienbeihilfe plus Kinderabsetzbetrag für zwei Millionen Kinder ausbezahlt. 291 Millionen Euro davon gingen an die 130.000 Kinder, die im Ausland gemeldet waren. Für diese will die ÖVP-FPÖ-Regierung die Familienbeihilfe an die dortigen Lebenskosten anpassen. Dadurch hofft die Regierung auf Einsparungen von 114 Millionen Euro. Kritik, wonach der bürokratische Aufwand für die neuen Berechnungen höher sei als die erhoffte Erpsarnis, wies die Regierung in Wien zurück.
Das Argument, wonach auch die Kommission die Gehälter ihrer Beamten indexiere, weist man in Brüssel zurück. Die Gehälter würden entsprechend dem Ort des Arbeitsplatzes angepasst - ein EU-Beamter in Rumänien etwa verdient weniger als einer in Brüssel, weil dort die Lebenshaltungskosten geringer sind als in Belgiern. Die Indexierung beziehe sich aber nicht auf den Wohnort der Kinder, heißt es auf Anfrage des KURIER. Für Östereichs Diplomaten gilt die gleiche Regelung: Die Einkommen sind unterschiedlich hoch, je nach Dienstort.
Ein Verfahren vor dem EuGH würde im Schnitt eineinhalb Jahre dauern. Setzt die österreichische Regierung das Urteil des Gerichts dann nicht um, kann die Kommission wiederum vor dem EuGH eine Strafe für Österreich beantragen.
Derzeit laufen gerade rund 60 Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich. Die Hälfte davon bezieht sich auf Regulierungen, die nicht zeitgerecht umgesetzt wurden, sind also keine inhaltlichen Streitfragen, wie es im Fall der Familiengeld-Indexierung wäre.
In Deutschland, wo ebenfalls eine Debatte über eine mögliche Kindergeld-Indexierung läuft, wollte man zunächst abwarten, wie Österreich vorgeht und wie die EU-Kommission reagiert. Ein Bremsfaktor war auch das Thema der Pensionen: Wird der Lebensort der Kinder berechnet; müsste eigentlich auch der Lebensort der Pensionsten berechnet werden, geben Rechtsexperten zu bedenken. Das hieße in Folge: Müssten dann nicht auch die Pensionen all jener in Spanien lebenden deutschen Rentner nach unten indexiert werden? - eine mehr als heikle Frage, an der in Deutschland niemand anstreifen will.