Juncker-Büro: "Großspurig" nicht auf Kurz bezogen
Ein Satz von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Sebastian Kurz vergangenen Freitag in Wien sorgt für Aufregung – vornehmlich in sozialen Netzwerken und mit einiger Verspätung.
Im Kontext mit der Asyl- und Migrationspolitik antwortete Juncker auf eine Journalistenfrage, dass die EU-Kommission bei der Dublin-Reform ihre Arbeit gemacht und konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt habe. Diese Vorschläge haben bisher allerdings keine Mehrheit im EU-Rat gefunden.
Wörtlich sagte Juncker: „Wäre ich Ratsvorsitzender, würde ich nicht so großspurig hier auftreten, weil ich weiß, wie schwierig die Kompromissfindung zwischen Mitgliedstaaten ist. Aber wenn man keine Kompromisse findet, sollte man eigentlich den Kommissionsvorschlägen einfach zustimmen.“ (Die Kommission hat eine Abschrift der gesamten Pressekonferenz online gestellt, die hier abzurufen ist).
Diese Aussage wurde vom Privatsender ATV gebracht und als Kritik an Kurz interpretiert, kurier.at berichtete darüber. Weder der KURIER (Samstag-Ausgabe) noch einer der anderen bei der Pressekonferenz anwesenden Journalisten, darunter zahlreiche EU-Korrespondenten aus Brüssel, haben die Aussage als explizite Kritik an Kanzler Kurz interpretiert.
Das allgemeine Verständnis war und ist, dass Juncker den EU-Rat, also den Zusammenschluss der Mitgliedsländer meinte, der bis heute nicht imstande war, einen Kompromiss in der Asylpolitik zu finden.
„Großspurig“ bezog Juncker ironisch und kritisch auf sich selbst, weil er eben nicht die schwierige Kompromissfindung zu verantworten habe. Der Nachsatz von Juncker („wenn man keine Kompromisse findet, sollte man eigentlich den Kommissionsvorschlägen einfach zustimmen“) wurde von den meisten Journalisten zitiert, auch vom KURIER.
Im Büro des Kommissionspräsidenten heißt es, dass es sich in Wien um „eine sehr freundliche und freundschaftliche Atmosphäre“ gehandelt hat. Berichte, wonach Juncker seinen "Großspurig"-Sager auf Kurz bezog, könne man nicht nachvollziehen, heißt es gegenüber dem Standard.
Richtig ist, dass angesehene europäische Zeitungen Österreichs Asyl- und Migrationspolitik hart kritisieren. Spaniens Tageszeitung El País attestiert Österreich eine „restriktive, unsolidarische und antieuropäische Sichtweise“ der Migrationspolitik. Türkis-Blau habe sich „in Europa an die Spitze einer Politik der harten Hand gegen Immigration und Asyl gesetzt“.
Die liberale Neue Zürcher Zeitung bezweifelt die Uneigennützigkeit des Ratsvorsitzes in den Bereichen Migration und Finanzen. Der Kommentator fragt, ob Bundeskanzler Kurz der Rolle eines ehrlichen Maklers gerecht werden kann?
Hinweis: Dieser Artikel wurde am 10.7. um die Stellungnahme aus dem Juncker-Büro ergänzt.