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Haushaltsbuch: Wie ein Leben mit Mindestsicherung aussieht

Anna Schmitt hat ihre braunen Haare zu einem Zopf gebunden, vereinzelt sind graue Haare zu sehen. Sie sitzt mit grau-weißem, langärmeligen T-Shirt in einem Café am Wiener Schwedenplatz. Weil die 35-Jährige weiß, dass viele über Menschen wie sie urteilen, will sie ihren echten Namen nicht in den Medien lesen. Anna Schmitt bezieht Mindestsicherung und das seit sieben Jahren.

Zwei Uniabschlüsse

Im Moment sind das 948,94 Euro, zwölfmal im Jahr. Dem gängigen Klischee einer faulen Langzeitarbeitslosen entspricht sie sicher nicht. Ihre Augen sind wach, sie drückt sich gewählt aus, hat zwei Uniabschlüsse - und ist dennoch auf die Unterstützung des Staates angewiesen. Schmitt ist chronisch krank, auch wenn man es ihr nicht ansieht. Multiple Sklerose ist nur einer der Krankheiten, mit denen sie lebt.

"Eine Zeit lang war ich erblindet"

Am Mittwoch beschloss der Ministerrat die vieldiskutierte Reform der Mindestsicherung, die im Mai den Nationalrat passieren soll. Die wichtigsten Änderungen betreffen Menschen ohne Deutschkenntnisse, die erheblich weniger Geld bekommen sollen. Vor allem Familien mit vielen Kindern schneiden im aktuellen Entwurf schlecht ab. Nur für behinderte Menschen soll es mehr Geld geben.

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"Eine Zeit lang war ich erblindet, konnte vor Schwäche nicht aufstehen. Ohne meine Mutter wäre ich wohl im Heim gelandet", erzählt Schmitt. Das war in der schlimmsten Phase ihrer Erkrankung. Mittlerweile geht es ihr besser. Die Medikamente haben angeschlagen, sie kann wieder das Haus verlassen und selbstbestimmt leben.

Chronisch krank

Wegen ihrer chronischen Krankheit kann Schmitt nicht Vollzeit arbeiten. Sie ist schnell erschöpft und braucht viel Ruhe. Mit einem geringfügigen Job müsste Schmitt aufstocken, würde also weiterhin Mindestsicherung beziehen. Sie hat sich für einen radikaleren Weg entschieden und macht sich selbstständig. Momentan absolviert sie das Unternehmensgründungs-Programm des AMS.

Katzen gegen Einsamkeit

Schmitt plant jeden Einkauf und jede Ausgabe bis ins kleinste Detail. Sie kommt zwar aus, allerdings nur mit der finanziellen Unterstützung ihrer Mutter. Sparen ist aber nicht drin, genauso wenig wie Essen gehen, Urlaube, Zigaretten oder Alkohol. "Für meine Katzen gebe ich gern Geld aus. Wenn ich wegen meiner Krankheit die Wohnung nicht verlassen kann, werden sie zu meinem Lebensmittelpunkt und ich fühle mich weniger einsam," sagt Schmitt.

Das Haushaltsbuch

Wofür sie ihre 948,94 Euro Mindestsicherung ausgibt, protokolliert Schmitt genau in ihrem Haushaltsbuch. Für den KURIER hat Anna Schmitt aufgelistet, wie ein typischer Monat bei ihr aussieht. Der größte Teil des Geldes – 602,91 Euro – geht für die Fixkosten drauf: Miete, Strom, Gas, Wasser.

Der nächste große Brocken sind Nahrungsmittel und Hygieneartikel. Dafür gibt Schmitt in Schnitt 200 Euro pro Monat aus. Die Wohnung ist bezahlt und warm, sie hat zu essen. Jetzt sind noch 146,03 Euro übrig, mit denen sie alle anderen Ausgaben bestreiten muss.

"Jede Extraausgabe bringt dich ins Strudeln"

Für unregelmäßige Ausgaben wie Winterschuhe, Tampons, Waschmittel und Tierarztrechnungen bleiben 56,28 Euro übrig. "Jede Extraausgabe bringt dich ins Strudeln. Meine Mutter unterstützt mich finanziell. Ohne sie wäre ich längst verschuldet", sagt sie.

Wie viel Geld man zum Leben in Österreich braucht, errechnet die Schuldenberatung jedes Jahr anhand von Warenkörben. Sie veröffentlicht dann ein Referenzbudget für verschiedene Haushaltsgrößen. Dabei werden nicht die niedrigsten, sondern Durchschnittspreise herangezogen. Ebenfalls berücksichtigt sind Sparpotenziale, etwa wenn man eine neue Brille braucht oder die Waschmaschine kaputtgeht, erklärt Maria Kemmetmüller von der Schuldenberatung. Für Single-Haushalte wie den von Anna Schmitt sind für das Jahr 2018 1.416 Euro pro Monat veranschlagt. Schmitt gibt rund zwei Drittel der Mindestsicherung fürs Wohnen aus. Spielraum gibt es da wenig. Im Referenzbudget machen die Fixkosten hingegen nur etwas mehr als die Hälfte aus.

"Alle Menschen sollen ein bescheidenes, menschenwürdiges Leben haben können", sagt Kemmetmüller, "in der Mindestsicherung ist das fast unmöglich." Deswegen plant die Schuldenberatung Geld für Schuhe und Möbel ein, sowie 130 Euro für kulturelle und soziale Teilhabe. Ein Kinobesuch, ein Kaffee mit Freundinnen, Geschenke. "Das schützt vor sozialer Isolation, Vereinsamung", sagt Kemmetmüller.

Anna Schmitt kennt das Gefühl, nicht an der Gesellschaft teilhaben zu können seit ihrer Studienzeit: "Ich gehe nie essen oder ins Kino. Kaffee trinken war immer schon Luxus." Sie ist sich sicher, dass die allermeisten Menschen, die Mindestsicherung beziehen, sich nicht auf dem Geld ausruhen, denn: "Mit 900 Euro kommst du nicht weit."