Leistungsgesellschaft: Aufputscher zum Frühstück
Von Irmgard Kischko
Wieder ein Rekordgewinn, Rekordverkäufe, Rekordwachstum. Manager lieben solche Veröffentlichungen ihrer Unternehmen. Sie sind – neben den Bonuszahlungen, die sie dafür bekommen – der sichtbare Beweis, dass sie etwas geleistet haben. Leistung ist das Motto, der Antrieb ihres Tuns.
Diese verlangen sie auch von ihren Mitarbeitern. Die Vorgaben für Absatzzahlen, Anzahl neuer Vertragsabschlüsse und innovative Ideen wird stetig nach oben geschraubt. „Die Menschen versuchen, sich zu optimieren, als wären sie ein Excel-Sheet“, sagt Neurobiologe Bernd Hufnagl. Er weiß nur allzu gut, wovon er spricht. Vor Jahren war er selbst Amateur-Radsportler, seit 2001 berät er Führungskräfte, hält Vorträge und schreibt Bücher. Zentrales Thema: Digitalisierung, Multitasking und deren Auswirkung auf die Gesundheit. Sein Befund ist alarmierend: „Der wachsende Trend zur Selbstoptimierung greift von der Arbeitswelt auf den gesamten Alltag über. Das halten viele nur mit Aufputschmittel durch“, sagt Hufnagl. Schrittzähler, Fitness-Tracker – jede Aktivität wird aufgezeichnet, ganz, als ob der Mensch eine Maschine wäre.
Leben wird Wettkampf
Der Erfolgswahn beginne schon bei Kleinkindern. „Eltern optimieren ihre Kinder“, erklärt der Neurobiologe. Bringe ein Kind eine gute Note nach Hause, bekomme es oft zur Antwort: „Aber in den anderen Fächern musst du auch noch besser werden“. Immer auf die Schwachstellen zeigen: Auch das sei ein Bestandteil der Leistungsgesellschaft.
Dazu komme noch die permanente Ablenkung durch die Unzahl von Medien und Informationen. „Da greifen viele dann schon beim Frühstück zum ersten Aufputscher, dem Bulletproof Coffee“, erzählt Hufnagl aus seiner Erfahrung. Das ist Kaffee, dem noch Butter und Öle beigemischt werden – ein gewaltiger Power-Kick. Weiter geht es untertags mit Aufputschmittel, die im Internet leicht erhältlich sind. Erhoffte Wirkung: Leistungssteigerung, bessere Konzentration. „Das ist aber nur scheinbar so“, warnt der Neurobiologe. Tatsächlich würden all diese Mittel nur die Zeitspanne des Wachbleibens verlängern. Und längerfristig abhängig machen.
Genaue Zahlen, wie viele Manager und Führungskräfte zu solchen Mitteln greifen, gibt es nicht. Laut einem Report der deutschen Krankenkasse DAK Gesundheit, nehmen fast sieben Prozent der Beschäftigten Aufputschmittel ein. Die Dunkelziffer aber sei hoch.
Leistungsdruck jedenfalls habe das Potenzial, dass Menschen süchtig nach Aufputschern, vom Alkohol über Medikamente bis zu Drogen, werden. Davon ist auch Psychiater Reinhard Haller überzeugt. Er schätzt, dass der Anteil von Süchtigen unter Führungskräften, Piloten und Ärzten weit höher sei als in der „normalen Bevölkerung“. Der Superstar unter den Drogen sei der Alkohol. Er sei überall zu haben und noch dazu gesellschaftlich akzeptiert.
Studenten im Stress
Das lockere Uni-Leben war einmal. Heute müssen Studenten zu den Besten gehören, um gute Chancen im Beruf zu haben. Dem Druck halten nicht alle stand, ohne Pillen zu nehmen. Wie viele das sind? „Da fehlen die Daten“, erklärt Hufnagl. In den USA weiß man das genauer. Dort sollen 40 Prozent der College-Studenten regelmäßig zu Aufputschmitteln greifen.
„Bei uns sind das nicht so viele“, ist Franz Oberlehner, Leiter der psychologischen Studierenden-Beratung der Uni Wien, überzeugt. Bei sehr Leistungsorientierten möge das vorkommen. Grundsätzlich glaubt Oberlehner, dass Mitteleuropäer bei Problemen nicht so rasch zu Pillen greifen wie Amerikaner.