Fischer zu Migrationspakt: "Der Republik passiert ein Fehler"
Der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer, ein langjähriger Kenner der UNO und Befürworter des Multilateralismus (das kooperative, gleichberechtigte und gemeinsame Handeln von Staaten, Anm.), ist „betroffen, traurig und enttäuscht“, dass die türkis-blaue Regierung aus dem UNO-Migrationspakt aussteigt.
KURIER: Herr Doktor Fischer, wie erklären Sie sich die Haltung Österreichs?
Heinz Fischer: Ich habe das Entstehen des Migrationspaktes von Beginn an verfolgt. Ich habe mit österreichischen Vertretern in New York und Genf gesprochen und war erfreut, dass wir auf einem guten Weg sind.
Daraus wurde aber nichts.
Das Thema Migration ist so wichtig, dass es von der UNO sehr verdienstvoll ist, sich global damit auseinanderzusetzen. Jeder Staat konnte seine Standpunkte einbringen. Der Pakt stellt keine verbindliche Regelung dar. Vor drei Monaten hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Österreich aussteigt. Österreich findet sich jetzt in einer Gruppe mit Trump, Orbán und einigen anderen, einer verschwindenden Minderheit unter den mehr als 190 UNO-Mitgliedern. Ich bin betroffen und traurig darüber. Für Österreich und seine Bürger kann das nicht gut sein.
Hat sich die Regierung von Rechtspopulisten leiten lassen, wie die Neue Zürcher Zeitung schreibt?
Es ist klar, dass eine bestimmte Regierungspartei hier großen Druck gemacht hat. Dem hätte man widerstehen müssen, und man hätte dafür viel Zustimmung gefunden – vom Bundespräsidenten, vom Kardinal und vielen Wählern. Die große Mehrheit der Bevölkerung hätte die Teilnahme am Migrationspakt für richtig empfunden, weil es wichtig ist, bei einem Problem eng zusammenzuarbeiten. Der Ausstieg ist der demonstrative Versuch, ein schwieriges, Menschenschicksale betreffendes Problem nicht als globales Thema zu behandeln. Auch das Argument, dass zwischen legaler und illegaler Migration nicht unterschieden wird, ist falsch. Es wird sehr wohl unterschieden, aber die Trennlinien sind im Einzelfall – situationsbedingt – nicht immer leicht zu ziehen.
Bundeskanzler Kurz hat gegenüber Bundespräsident Van der Bellen den Ausstieg verteidigt und betont, Österreich bekenne „sich zum Multilateralismus, aber der Inhalt muss stimmen“. Ist das Rosinenpickerei?
Dass wir uns zum Multilateralismus bekennen, wird hoffentlich niemand in Frage stellen. Auch die EU-Mitgliedschaft ist Ausdruck des Multilateralismus. Zum Multilateralismus darf man sich nicht nur bekennen, sondern man muss ihn auch praktizieren. Ein verbales Bekenntnis genügt da nicht.
Ist das Image Österreichs jetzt beschädigt?
Ich glaube, dass der Republik Österreich ein Fehler passiert, wenn wir zulassen, dass eine Partei, die den Multilateralismus nicht wirklich schätzt, sich durchsetzt mit Argumenten, die einer sorgfältigen Überprüfung nicht standhalten. Für mich ist das traurig. Es ist eine Entscheidung, von der ich enttäuscht bin und die in sehr vielen Ländern Kopfschütteln auslöst. Sogar CDU und CSU kritisieren das Vorgehen Österreichs, nur die AfD begrüßt es. Es wäre schön, wenn Österreich im Dezember in Marrakesch bei der Migrationskonferenz vertreten sein würde, noch schöner wäre es, wenn man sich einen Ruck gäbe, die internationale Zusammenarbeit ernst nimmt und Ja sagt.
Zur Person
Heinz Fischer (80) war Wissenschaftsminister und Nationalratsabgeordneter der SPÖ sowie von 2004 bis 2016 Bundespräsident von Österreich.