Regierungskrise: Zwei britische Minister treten aus Protest gegen Johnson zurück
Großbritannien stürzt in eine Regierungskrise. Begleitet von scharfer Kritik an Premier Boris Johnson haben Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid ihre Ämter niedergelegt. Er habe das Vertrauen in den Regierungschef verloren, so Javid in seinem am Dienstagabend veröffentlichten Rücktrittsschreiben. Unter Johnsons Führung werde die Konservative Partei von der Öffentlichkeit weder als wertegeleitet angesehen noch diene sie dem nationalen Interesse.
Kein Kurswandel
Auch nach dem parteiinternen Misstrauensvotum, das Johnson kürzlich knapp gewann, habe der Premierminister keinen Kurswandel eingeleitet. "Mir ist klar, dass sich diese Situation unter Ihrer Führung nicht ändern wird", schrieb Javid.
Finanzminister Sunak betonte, er sei immer loyal zu Johnson gewesen. "Aber die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass die Regierung richtig, kompetent und ernsthaft handelt." Der Sender Sky News zitierte ein namentlich nicht genanntes Regierungsmitglied, dass Johnson nun kaum noch im Amt zu halten sei.
Der Druck auf den Premier hatte zuletzt wegen des Skandals um sexuelle Belästigung durch ein führendes Tory-Fraktionsmitglied wieder deutlich zugenommen. Der Premier entschuldigte sich am Abend und sagte, die Berufung von Chris Pincher zum Vize-Whip sei ein Fehler gewesen. Er habe in dem Fall aber nicht gelogen, betonte Johnson in der BBC. Die Whips - auf Deutsch wörtlich Peitschen - sollen für Fraktionsdisziplin sorgen.
Illegale Feiern
Zuvor hatte Johnsons Sprecher eingeräumt, dass der Premierminister bereits 2019 über Anschuldigungen gegen seinen konservativen Parteifreund Chris Pincher informiert worden sei. Bisher hieß es, Johnson seien keine konkreten Vorwürfe bewusst gewesen.
Mit dem internen Misstrauensvotum hatte Johnson die "Partygate"-Affäre um illegale Lockdown-Feiern in der Downing Street hinter sich lassen wollen. Wegen der Teilnahme an einer der Partys hatte der Premier persönlich eine Geldstrafe zahlen müssen. Er blieb entgegen der Erwartungen auch innerparteilicher Kritiker dennoch im Amt.
"Morgen ist alles vorbei"
Am Dienstagabend wurde in britischen Medien zudem fieberhaft diskutiert, ob weitere Regierungsmitglieder folgen könnten. Johnson hat den Ruf als politischer Houdini, der sich immer wieder aus unmöglichen Bredouillen befreit. „Es ist viel schwieriger zu sehen, wie er aus dieser herauskommt“, meinte aber etwa der konservative Telegraph.
Und ein anonymer enger Vertrauter des Premiers sagte der BBC am Abend, nicht einmal der Überlebenskünstler Johnson könne nun weitermachen: „Morgen um die Zeit wird alles vorbei sein“. Seit Längerem überlegt Johnsons Team eine breitere Regierungsumbildung, die nun als Befreiungsschlag vorgezogen werden könnte. Allerdings würde sie nun wohl nur als erzwungener Defensivschlag statt als Versuch eines politischen Neubeginns gesehen werden.
Nach einem knapp gewonnenen Misstrauensvotum kann unter derzeitigen Regeln ein Jahr keine weitere Abstimmung über Johnson in seiner Fraktion abgehalten werden. Allerdings wollen immer mehr in der Partei diese Regeln geändert sehen.
Herausfordernder Tag
Der Guardian meinte hingegen: “Für Boris Johnson könnte alles vorbei sein – obwohl nicht klar ist, wie lange es dauern wird, bis seine Feinde ihn erledigen. Es sieht nicht so aus, als fände sein Fenstersturz unverzüglich statt".
Mittwoch galt aber ohnehin schon als herausfordernder Tag für Johnson. Nach der wöchentlichen Fragestunde im Unterhaus steht ihm am Nachmittag eine Befragung in einem Parlamentsausschuss bevor, die Premiers traditionell unangenehme Fragen beschert.