Mehr als 100.000 Tote und Verletzte: Hohe Opferzahlen auf beiden Seiten
Im Krieg zwischen Russland und der Ukraine verzeichnen beide Seiten nach Schätzungen des US-Militärs hohe Opferzahlen. "Sie haben es mit weit mehr als 100.000 getöteten und verletzten russischen Soldaten zu tun", sagte US-Armeegeneral Mark Milley während einer Rede in New York. Gleiches gelte "wahrscheinlich für die ukrainische Seite". "Es gibt viel menschliches Leid.“
Neben Militärs seien seit Beginn der russischen Invasion im Februar zudem bis zu 40.000 ukrainische Zivilisten in dem Konflikt ums Leben gekommen. Die Zahlen sind die genausten, die die USA bisher veröffentlicht haben. Sie konnten jedoch nicht unabhängig geprüft werden.
Milley warb zudem für Gespräche, um den Krieg zu beenden. Möglicherweise könnten weder die Ukraine noch Russland militärisch siegen, sagte der US-General. Es sei daher erforderlich, sich "nach anderen Mitteln" umzusehen.
Rückzug aus Cherson
Ukrainische Soldaten rückten am Mittwich langsam in Richtung Cherson vor und befreiten nach eigener Darstellung die Ortschaften Prawdino und Kalinowskoje, die in den vergangenen Tagen schwer umkämpft waren. Dem Einmarsch der Ukrainer sei aber der Abzug der Russen aus den beiden Orten vorausgegangen, berichtete die Ukrajinska Prawda. Unter dem Druck ständiger ukrainischer Angriffe hatte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch den Abzug des russischen Militärs aus Cherson und der gesamten Region um die Stadt angeordnet.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij reagierte darauf vorsichtig, warnte vor Euphorie und hielt es für unwahrscheinlich, dass die russische Armee die Stadt kampflos verlassen würde. Nach der Ankündigung herrsche zwar „viel Freude“, sagte er am Mittwochabend in seiner täglichen Videoansprache.
„Aber unsere Emotionen müssen zurückgehalten werden - gerade während des Krieges.“ Zugleich kündigte er weitere Operationen an, ohne diese genauer zu beschreiben.
"Der Feind macht uns keine Geschenke"
Selenskij verwies darauf, dass der Rückzug der russischen Besatzer in erster Linie den Erfolgen der ukrainischen Streitkräfte zu verdanken sei. „Der Feind macht uns keine Geschenke, macht keine Gesten des guten Willens.“ Niemand ziehe sich einfach „nur so“ von irgendwo zurück, „außer unter Druck“.
Das ukrainische Militär werde sich weiter „sehr vorsichtig, ohne Emotionen, ohne unnötiges Risiko“ bewegen, sagte Selenskij. Und dies mit möglichst wenigen Verlusten. „So werden wir die Befreiung von Cherson, Kachowka, Donezk und unseren anderen Städten sichern.“
Selenskij warnte die Entscheider in Moskau davor, den Befehl zum Sprengen des Kachowka-Staudamms oberhalb von Cherson oder zur Beschädigung des Atomkraftwerk Saporischschja zu geben. „Dies würde bedeuten, dass sie der gesamten Welt den Krieg erklären“.
AKW Saporischschja
Laut russischen Angaben würden sich ukrainischen Streitkräfte auf ein Vorrücken in Richtung des Atomkraftwerks Saporischschja vorbereiten. Dazu seien rund um die Stadt Saporischschja rund 7.000 ukrainische Soldaten zusammengezogen worden, zitierte die Agentur Tass einen Vertreter der Besatzungsverwaltung. Unter diesen Truppen seien auch etwa 300 Kommandosoldaten, die für diesen Einsatz speziell in Großbritannien ausgebildet worden seien. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Das russische Militär kontrolliert das südlich von Saporischschja gelegene Atomkraftwerk, das als größte Atomanlage Europas gilt. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bemüht sich seit Monaten, um das Werk eine Schutzzone ohne Kämpfe einzurichten.
Kiew weist neues Gesprächsangebot Russlands zurück
Die ukrainische Führung wies ein erneutes Gesprächsangebot Moskaus als „neue Nebelkerze“ zurück. „Russische Beamte beginnen, Gesprächsangebote immer dann zu unterbreiten, wenn die russischen Truppen Niederlagen auf dem Schlachtfeld erleiden“, schrieb Außenamtssprecher Oleh Nikolenko auf Facebook mit Verweis auf den angekündigten Abzug der russischen Besatzer aus Cherson.
Mit dem neuen Dialogangebot spiele Russland lediglich auf Zeit, um seine Truppen neu zu sortieren und zu verstärken, und um dann „neue Wellen der Aggression“ einzuleiten.
In Moskau hatte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa die Bereitschaft Russlands zu Gesprächen „auf Grundlage der aktuellen Realitäten“ angeboten. Damit war der aktuelle Stand an den Fronten gemeint. „Wir sind weiterhin zu Gesprächen bereit, wir haben sie nie verweigert“, sagte sie.
Kiew hat bereits mehrere Verhandlungsangebote aus Moskau abgelehnt, fordert als Vorleistung den kompletten Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine, auch von der Halbinsel Krim.