Türkei sperrt zu Beginn des Ramadan komplett zu
Von Walter Friedl
Kein Genießen der Frühlingssonne in den Parks, kein Sport, und natürlich kein Besuch einer Teestube – mit Donnerstag null Uhr hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine totale Ausgangssperre für 31 Provinzen verhängt. Vier Tage lang soll diese gelten, um die nach wie vor dramatisch steigenden Zahlen von Corona-Kranken und -Toten einzudämmen. Stand Dienstag wurden im Land am Bosporus mehr als 90.000 Infizierte gezählt, mehr als 2150 starben an dem Virus.
Der Beginn des Lockdown fällt mit dem (ohnehin arbeitsfreien) Feiertag am 23. April zusammen, an dem alljährlich der Gründung des türkischen Parlaments gedacht wird. Und es ist auch der jährlich zelebrierte „Kindertag“, der einst von „Übervater“ Atatürk eingeführt wurde. Landesweit finden in Normalzeiten riesige Feste zu Ehren der Buben und Mädchen statt. Und tags darauf ist der offizielle Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan.
„Alles ist heuer anders“, sagt Hüseyin Bağci, der in Ankara Politikwissenschaften lehrt – derzeit freilich nur online, wie er im KURIER-Telefonat anmerkt. Der 60-Jährige geht davon aus, dass die rigorose Ausgangssperre – bei Zuwiderhandeln werden umgerechnet rund 425 Euro fällig – erst mit 4. Mai enden wird: „Am Freitag in einer Woche ist der 1. Mai, dann kommt das Wochenende, und dann dürfte es wieder Erleichterungen geben. Denn länger hält die Wirtschaft einen Totalstillstand nicht aus.“
Wirtschaft lahmt
Das war auch der Grund, warum sich Erdoğan so lange gegen einen Lockdown gesperrt hat – was ihm teilweise massive Kritik eingetragen hatte. Tatsächlich war die einst boomende türkische Ökonomie mit Wachstumsraten von bis zu elf Prozent bereits in Vor-Corona-Zeiten schwer angeschlagen. In der aktuellen Krise schaffte es die Regierung in Ankara gerade einmal ein Hilfspaket für die Wirtschaft in der Höhe von umgerechnet rund 14 Milliarden Euro zu stemmen – bei einem BIP von 666 Milliarden Euro (2019). Zum Vergleich: Österreichs Wirtschaftsleistung machte im Vorjahr knapp 400 Milliarden Euro aus, die Corona-Unterstützungsmaßnahmen liegen aber bei fast dem Dreifachen der türkischen Hilfe.
Öffnung des Tourismussektors ab 1. Juni?
Um den Unternehmen Luft zum Atmen zu geben, dürfte es, so meint Hüseyin Bağci, nach dem Ende des Ramadan (23. Mai) auch zu einer teilweisen Öffnung des Tourismussektors in der Türkei kommen: „Ich denke, dass es ab 1. Juni zu einer schrittweisen Normalisierung kommen könnte. Mit weniger Gästen, aber immerhin. Da hat man auch den Binnen-Tourismus im Blick. Denn Millionen Türken haben Ferienhäuser am Meer.“
Dass ausgerechnet Erdoğan , der stets den politischen Islam vor sich hergetragen hat, jetzt zu Beginn des Ramadan auch alle Moscheen sperren lässt, findet Bağci pikant: „So erzwingen äußere Einflüsse, dass die Türkei doch ein säkularer Staat bleibt.“