Politik/Ausland

Selenskyj ordnet Generalmobilmachung der Bevölkerung an

Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ostukraine hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine allgemeine Mobilmachung angeordnet. Das Staatsoberhaupt habe ein entsprechendes Dekret unterschrieben, meldete die Agentur Unian in der Nacht auf Freitag unter Berufung auf das Präsidialamt in Kiew. Am ersten Tag der russischen Invasion haben laut ihm 137 Soldaten ihr Leben verloren. Freitag in der Früh gab es Berichte über heftige Explosionen in Kiew.

Ukrainische Streitkräfte haben in den frühen Morgenstunden des Freitags ein feindliches Flugzeug über Kiew abgeschossen, das dann in ein Wohnhaus stürzte und dieses in Brand setzte, sagte Anton Heraschtschenko, ein Berater des Innenministers. Es war unklar, ob das Flugzeug bemannt war. Heraschtschenko schrieb auf Telegramm, dass ein neunstöckiges Wohnhaus in Flammen stand. Zuvor waren in Kiew eine Reihe von Explosionen zu hören, die laut Heraschtschenko von der Luftabwehr stammen, die das Flugzeug beschossen hat.

Insgesamt 316 Soldaten seien am Donnerstag verletzt worden, sagte Selenskyj in der Nacht auf Freitag in einer Videobotschaft. Die russischen Angriffe hatten am Donnerstag in der Früh begonnen. "Heute hat Russland das gesamte Gebiet der Ukraine angegriffen. Und heute haben unsere Verteidiger sehr viel geleistet", sagte Selenskyj.

Einberufung von Wehrpflichtigen und Reservisten

Die Anordnung zur Generalmobilmachung gilt demnach 90 Tage und sieht die Einberufung von Wehrpflichtigen und Reservisten vor. Zuvor hatte Selenskyj bereits eine Teilmobilmachung von Reservisten angeordnet. "Wir müssen operativ die Armee und andere militärische Formationen auffüllen", begründete er seine Entscheidung. Bei den Territorialeinheiten werde es zudem Wehrübungen geben. Wie viele Männer betroffen sein werden, sagte der 44-Jährige nicht.

Nach ukrainischen Behördenangaben dürfen zudem männliche Staatsbürger im Alter von 18 bis 60 Jahren das Land nicht verlassen. Man werde sie nicht über die Landesgrenze lassen, teilte der Leiter der ukrainischen Zollbehörde in Lemberg, Danil Menschikow, am Donnerstagabend (Ortszeit) auf Facebook mit. Er bat die Menschen, keine Panik zu verbreiten und nicht zu versuchen, eigenständig die Landesgrenze zu überqueren.

Die russische Armee ist nach Einschätzung des ukrainischen Generalstabs bereits mit einem großen Teil ihrer versammelten Truppen in die Ukraine vorgestoßen. Ein Militärsprecher nannte die Zahl von 60 taktischen Bataillonsgruppen (BTG) aus Russland. Das sind hochflexible und schnelle Kampftruppen mit 600 bis 1000 Soldaten. Die russische Armee hatte nach ukrainischen Angaben etwa 90 solcher Gruppen für die Invasion zusammengezogen.

Der Gegner konzentriere seine Truppen in den Gebieten Charkiw und Donezk im Osten sowie im Süden, sagte der Sprecher. Hauptziel scheine zu sein, die Hauptstadt Kiew zu blockieren. Außerdem wollten die gegnerischen Truppen einen Landkorridor von der Halbinsel Krim zu den Separatistengebieten im Osten herstellen, sagte der Sprecher am späten Donnerstag in Kiew. Weiteres Ziel sei ein Korridor in die Separatistenregion Transnistrien in der Republik Moldau. Es gebe Kämpfe in der südukrainischen Region Cherson.

Die russische Armee habe versucht, 200 Mann ihrer Luftlandetruppen auf dem Flugplatz Hostomel westlich von Kiew abzusetzen, sagte der Generalstabssprecher. Der ukrainischen Armee sei es gelungen, die Landung des Hauptkontingents abzuwehren. Bis in den Donnerstagabend hinein habe es Kämpfe mit der russischen Vorhut gegeben.

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Schutz in U-Bahnstationen

Tausende Menschen suchten unterdessen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew am Donnerstagabend in U-Bahn-Stationen Schutz. Bürgermeister Vitali Klitschko hat die Bewohner dazu aufgerufen. Bilder aus der Großstadt Charkiw im Osten des Landes zeigten, wie auch dort Menschen mit Decken auf dem Boden einer Metro-Station lagen. Viele hatten Wasserflaschen und Nahrungsmittel dabei.

Lage im Osten

Die Lage im Osten der Ukraine nahe der von den Separatisten kontrollierten Gebiete ist nach Angaben des ukrainischen Militärs weiter unruhig. Die Situation im Einsatzgebiet Donezk sei angespannt, werde aber von der Armee kontrolliert, heißt es in einem Bericht der ukrainischen Armee am Donnerstagabend (Ortszeit). Der Beschuss durch Russland dauere an.

In Richtung Luhansk seien tagsüber die heftigsten Kämpfe um die Orte Schtschastja, Stanyzja Luhanska, Lobatschewe und Bilowodsk geführt worden. In den Kämpfen um Schtschastja seien zwei feindliche Panzer zerstört und ein Panzer und eine Flugabwehrkanone erbeutet worden, hieß es weiter. In Schtschastja habe die Armee mehrere Gefangene genommen, hieß es weiter.

Trotz umfangreicher Angriffe sei es "dem Feind" nicht gelungen, aus dem Osten tief in die Ukraine vorzudringen. Alle wichtigen Siedlungen und wichtige Infrastruktur halte man weiter. Nach aktuellem Stand seien keine weiteren Versuche des Durchbruchs durch "den Feind" registriert worden. An manchen Orten sei die Feueraktivität zurückgegangen. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

100.000 auf der Flucht

Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR rund 100.000 Menschen in dem Land auf der Flucht. Mehrere tausend Menschen seien zudem bereits aus dem Land geflüchtet, sagte UNHCR-Sprecherin Shabia Mantoo am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP.

"Wir können noch keine genauen Zahlen bestätigen, aber es ist klar, dass es erhebliche Bewegungen innerhalb des Landes und einige Bewegungen über die Grenzen hinweg gegeben hat", sagte Mantoo.

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