Merkel vs. Seehofer: "Entscheidet darüber, ob Europa zusammen bleibt",
In aller Kürze
- CDU und CSU tagen am Montag zur Unionskrise
- Opposition will bei Koalitionsende nicht Notnagel sein
- Doskozil attackiert Seehofer
CDU und CSU steuern im zuletzt eskalierten Streit über die deutsche Asylpolitik an diesem Montag auf eine Entscheidung zu. Die Führungsgremien beider Schwesterparteien beraten in Berlin und München über den unionsinternen Konflikt, der zum Sprengsatz für die große Koalition in Berlin werden könnte.
Plan: Fast nur mehr Sachleistungen für Flüchtlinge
Der "Masterplan Migration" des deutschen Innenministers Horst Seehofer (CSU) enthält offenbar noch weitere Streitpunkte für die Koalition. Wie die "Augsburger Allgemeine" (Montagsausgabe) unter Berufung auf Informationen aus CSU-Kreisen berichtete, sieht Seehofers Plan auch vor, Geldzahlungen an Flüchtlinge künftig massiv einzuschränken und nahezu komplett auf Sachleistungen umzustellen.
Außerdem sei geplant, den Zeitraum, in dem Asylbewerber nur einen Grundbedarf erstattet bekommen, bevor sie Leistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe erhalten, von 15 auf 36 Monate zu verlängern. In beiden Punkten wäre mit Widerstand von der SPD zu rechnen
Sitzungsmarathon am Vormittag
In München kam der CSU-Vorstand zusammen. Es wird erwartet, dass er Seehofer grünes Licht für sein Vorhaben geben wird, künftig Asylbewerber an der Grenze abzuweisen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. Offen ist, wann dies umgesetzt werden soll. "Wir als CSU stehen. Wir sind geschlossen", sagte Bayerns Ministerpräsident Söder vor der Vorstandssitzung. Es sei der Zeitpunkt, eine "Asylwende" einzuleiten. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte: "Wir brauchen eine Neuordnung des Asylsystems." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält eine Zurückweisung für schnell umsetzbar. Die Bundespolizei sei "im Prinzip darauf vorbereitet". Seehofer selbst verzichtete auf öffentliche Kommentare.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat im Konflikt um Zurückweisungen von Flüchtlingen an der deutschen Grenze in der Sitzung des CDU-Bundesvorstands für ihren Kurs geworben. "Wie Deutschland handelt, entscheidet darüber, ob Europa zusammen bleibt oder nicht", sagte Merkel am Montag, wie die Nachrichtenagentur AFP von Teilnehmern erfuhr. Die Aussagen der Parteichefin seien mit großer Zustimmung aufgenommen worden. Merkel bat demnach in der CDU-Spitzenrunde um Unterstützung für ihr Vorhaben, nach europäischen Lösungen zu suchen. Dafür hätten die Teilnehmer der Beratungen fast geschlossen mit zustimmendem Klopfen auf dem Tisch ihre Unterstützung signalisiert, hieß es.
In Berlin trifft sich zunächst das Präsidium (09.00 Uhr) und später der Bundesvorstand (11.00 Uhr) der CDU. Merkel lehnt einen nationalen Alleingang in der Flüchtlingspolitik ab. Sie setzt darauf, eine Lösung unter dem Dach der Europäischen Union zu erreichen, und strebt bilaterale Abkommen mit Staaten wie Italien, Österreich oder Griechenland zur Zurückweisung von Flüchtlingen an. Am Sonntagabend beriet sich Merkel bereits in einem engen CDU-Führungszirkel über das weitere Vorgehen. Ergebnisse des fast siebenstündigen Treffens wurden nicht bekannt.
CDU-Politiker warnen vor Spaltung
Innenstaatssekretär Günter Krings ( CDU) warnte: "Sollte es bei dieser Frage, in der wir gar nicht weit auseinander liegen, zu einem Bruch zwischen CDU und CSU kommen, wäre das schlimmer als der Kreuther Trennungsbeschluss von 40 Jahren." Im November 1976 hatte die CSU-Landesgruppe im Bundestag für einige Wochen beschlossen, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufzukündigen. Beide waren damals in Opposition. "Einen Bundestag, in dem sich die CDU auf der Regierungsseite und die CSU auf der Oppositionsseite wiederfindet, mag sich niemand ernsthaft vorstellen", sagte Krings.
Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans appellierte an die CSU, "keine vollendeten Tatsachen zu schaffen, sondern Vernunft walten zu lassen und die Tür zu einem gemeinsamen Unionskompromiss nicht vorschnell zuzuwerfen". Der CDU-Politiker warnte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Die Zuspitzung des Streits ist für die Union als Ganzes existenzgefährdend."
Merkel plant Sondertreffen mit Österreich und Italien
Die "Welt" berichtet unter Berufung auf hohe EU-Diplomaten, Merkel plane ein Sondertreffen mit Italien, Österreich und weiteren Staaten im Vorfeld des EU-Gipfels Ende Juni. Dabei sollten neue umfangreiche Maßnahmen im Kampf gegen die illegale Zuwanderung beraten werden. Konkret werde es unter anderem darum gehen, das Mandat und damit die Aufgaben der EU-Grenzschutzbehörde Frontex deutlich zu erweitern und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zu stärken. Österreich soll der APA zufolge zu so einem Treffen beret sein.
Bei einem Zerbrechen der Koalition als Folge des Unionsstreits stünden vermutlich Neuwahlen an. FDP und Grüne verkündeten als einzige realistische Optionen zuletzt unisono, nicht "Notnagel" sein zu wollen.
Doskozil: "Ganz eindeutig falsch, was Herr Seehofer macht"
Ex-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) hat scharfe Kritik an den Plänen Seehofers geübt, Flüchtlinge an den deutschen Grenzen zurückzuweisen. "Wir werden sicherlich nicht zulassen, dass Österreich zum Puffer wird", brachte Doskozil im Gespräch mit "Bild TV" eine Sistierung von bilateralen Übernahmeabkommen mit Deutschland ins Spiel. Seehofers Plan könne "nicht umgesetzt werden (...), wenn die Mitgliedsstaaten nicht mitgehen", betonte Doskozil. Deutschland führe seine Grenzkontrollen nämlich auf eigenem Staatsgebiet durch. Somit sei auch eine Zurückweisung von Asylwerbern nur mit Zustimmung des Nachbarlandes Österreich möglich.
Er gehe nicht davon aus, dass Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zulassen werde, "dass wir Schritt für Schritt in Massen Menschen (zurücknehmen werden, Anm.)", sagte Doskozil, der bei seiner Antwort von dem Moderator unterbrochen wurde. Der burgenländische Finanzlandesrat verwies darauf, dass in der Flüchtlingskrise etwa auch Ungarn die Rücknahme von Flüchtlingen durch Österreich verweigert habe.
"Ich finde es ganz eindeutig falsch, was Herr Seehofer macht", kritisierte der SPÖ-Politiker den deutschen Innenminister. Er betreibe "eine Politik, die rein auf nationalen Interessen basiert" und "die dazu führt, dass nationale Maßnahmen rauflizitiert werden". Stattdessen brauche es eine europäische Lösung, bekräftigte Doskozil seinen Vorschlag einer eigenen zivil-militärischen EU-Mission zum Schutz der EU-Außengrenzen. Doskozil warf in diesem Zusammenhang auch der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vor, zu wenig für seine solche europäische Lösung getan zu haben.