Politik/Ausland

Schüsse auf Büro von SPD-Politiker: "Man will uns einschüchtern"

Persönlich geht es ihm gut, erklärt Karamba Diaby, SPD-Abgeordneter im Bundestag, am Telefon. Am Donnerstag hatte sein Bürgerbüro in Halle, Sachsen-Anhalt, wieder offen. Viele Menschen sind gekommen, eine Frau steckte Rosen in die Einschusslöcher.

Unbekannte hatten zuvor auf die Scheiben geschossen, die Polizei ermittelt. Zu den Hintergründen kann er nichts sagen, nur so viel: "Diese Menschen wollen uns einschüchtern, aber das lassen wir nicht zu."Bereits 2015 schlug man ihm die Fensterscheiben ein, Hass und Hetze im Netz kennt er noch viel länger. "Es sind einige der Meinung, dass das Internet auch ein rechtsfreier Raum ist - das stimmt nicht. Man muss die Meinungsfreiheit verteidigen, aber die Würde des Menschen ist unantastbar – niemand darf beleidigt und bedroht werden – schon gar nicht mit Waffen oder Gewalt."

1985 kam der im Senegal geborene Diaby nach Halle, damals DDR, wo er zum Doktor promovierte. Seit 2013 sitzt er für die SPD im Bundestag. Und erlebt, was vielen Politikern mit Migrationshintergrund widerfährt – in Österreich gerade Justizministern Alma Zadić: Egal, wie lange sie im Land leben, was und wo sie studiert haben, werden sie von anderen nur auf ihre Herkunft reduziert, rassistisch beleidigt und bedroht.

Alle Inhalte anzeigen

Devrimsel Deniz Nergiz weiß, dass dies viele frustriert. Die Soziologin und Geschäftsführerin des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat hat ihre Doktorarbeit zu Parlamentariern mit Migrationshintergrund geschrieben. Gemessen an ihrem Anteil in der Bevölkerung sind sie im Bundestag und in den Landtagen stark unterrrepräsentiert. Nach der Bundestagswahl 2017 waren von 709 Abgeordneten 58 Parlamentarier aus Einwandererfamilien dabei. Seit der Europawahl, wo einige nach Brüssel wechselten, wie etwa Katarina Barley (SPD), sind es weniger.

In die "Migrationsecke" gestellt

Zwar hat sich seit den 1990er-Jahren - als Cem Özdemir  und Leyla Onur zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurden - vieles verbessert, aber es gibt noch immer Defizite. Sie attestiert den Parteien zu wenig Interesse daran, Menschen mit Migrationshintergrund zu rekrutieren, ihnen den Weg für ein Mandat zu öffnen und diese in der Postenvergabe zu berücksichtigen. Und wenn sie doch welche aufnähmen, würden diese häufig in die Migrationsecke gestellt. "Manche müssen thematisch Bereiche übernehmen wie Integrationspolitik, weil es die Parteien als authentischer empfinden", berichtet Nergiz. Doch gerade bei den jüngeren Generationen, die politisch Verantwortung übernehmen wollen, sind viele verschiedene Interessen da. Die Motivation von Parlamentariern mit Migrationshintergrund ist vor allem Verantwortung für die Gesellschaft, für das Land zu übernehmen, das zeigt sich in ihrer Studie. Von Orts- oder Kreisverbänden bis hin zum Bundeskabinett, wo derzeit kein Mitglied Migrationsgeschichte aufweist, gibt es nur wenige Beispiele, wo man ihnen politische Ämter zutraut. "Das schreckt möglichen Nachwuchs ab", sagt sie.

Stärker unter Druck als "normale" Politiker

Was sie ebenfalls beobachtet hat: Manche Parteien setzen kurzfristig Quereinsteiger auf ihre Listen. Das wäre gut, doch manchmal bleibe ihnen keine Zeit, um Netzwerke zu bilden, sich in der politischen Landschaft anzugewöhnen. Zuletzt passierte das im bayerischen Wallerstein. Dort wollte die CSU einen muslimischen Unternehmer, als Bürgermeisterkandidaten aufstellen, zog aber zurück, weil es Gerede gab. Nergiz sieht zwar ein positives Signal, weil Konservative einen Muslimen in ihre Reihen holen, andererseits müsse man zuvor die eigene Basis davon überzeugen, denn so wirke die Ablehnung des Mannes auf andere abschreckend.

Von Quoten ist sie aber nicht überzeugt, "da scheiden sich die Geister". Und: "Viele Befragte in meiner Forschung lehnten sie eher ab. Sie nehmen das als eine zusätzliche Last, weil sie ohnehin unter größerem Druck stehen, als "normale" Politiker ihre Eignung unter Beweis zu stellen, ohne dass man sie auf ihre Herkunft reduziert", erklärt sie.

Dass seine Wahl für Öffentlichkeit sorgt, war Belit Onay bewusst. Der in Goslar, Niedersachsen, geborene Grünen-Politiker ist seit Kurzem Bürgermeister von Hannover – der erste mit türkischen Wurzeln. Wie viel Hass ihm deshalb entgegenschlug, hat ihn dann doch überrascht, sagte er dem Spiegel. Gleichzeitig gab es zig Solidaritätsbekundungen.

Alle Inhalte anzeigen

"Nein, wir sehen das anders"

So wie sie Karamba Diaby erlebt hat – Bundeskanzlerin, Bundespräsident und Abgeordnete aller Fraktionen – bis auf die AfD – ermutigten ihn, weiterzumachen. Allerdings findet er, es bedarf mehr als warmer Worte. Man müsse klar machen, dass jene, die laut hetzen, eine Minderheit sind. Wie das funktionieren kann? "Wenn die Menschen aktiv dagegenhalten und ihre Meinung kundtun, im Sinne von: Nein, wir sehen das anders.“ 

Es gäbe Menschen, die sich das Recht einräumen, zu definieren, wer dazu gehört und wer nicht - mit ihnen ist auch der SPD-Mann konfrontiert, erzählt er. Aber: In Österreich und Deutschland müsse deutlich werden, dass Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund wichtig für den Zusammenhalt ist. "Dass eine kleine Gruppe und Minderheit der Gesellschaft das nicht akzeptiert, nehmen wir zur Kenntnis. Sie müssen aber auch akzeptieren, dass sich diese Gesellschaften durch Vielfalt entwickelt haben. Das heißt nicht Friede, Freude, Eierkuchen, es gibt viele Herausforderungen zu bewältigen, aber Vielfalt bereichert."

Angriffe gegen Kommunalpolitiker steigen

Längst richtet sich der Hass und Wut von Menschen auch gegen Politiker ohne Migrationshintergrund, die auf kommunaler Ebene tätig sind. Schon nach dem Mord am Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni berichteten Bürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte von Drohungen, Beleidigungen, verbaler und körperlicher Gewalt. Zahlen mehrer Landeskriminalämter belegen, dass die Zahl der polizeilich erfassten Übergriffe 2019 gestiegen ist. Wie die Welt am Sonntag berichtete, wurden etwa in Niedersachsen 167 Straftaten registriert – das sind 59 mehr als im Vorjahr. In Baden-Württemberg wurden 104  aufgenommen - 2018 waren es noch 81 - und in Rheinland-Pfalz registrierte man 44 Straftaten, im Jahr zuvor waren es 25.

Karamba Diaby kann nachempfinden, wie frustrierend das ist: "Sie stecken tausende Stunden in ihre Arbeit, engagieren sich für die Gesellschaft und müssen feststellen, dass es dort Menschen gibt, die ihre Arbeit nicht wertschätzen und einschränken durch Drohungen und Gewalt." Jeder müsse sich daher die Frage stellen, wie es in der Gesellschaft weitergehen soll: "Wollen wir, dass Gewalt als Mittel benutzt wird, um Ziele zu erreichen. Nein, eine freie demokratische Gesellschaft lebt davon, dass sich Bürger friedlich, demokratisch und anständig mit den Herausforderungen auseinandersetzen."