Scharfe Kritik an von der Leyen: Politik und Presse unzufrieden
Dass die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen neue EU-Kommissionspräsidentin wird, kommt nicht sonderlich gut an.
Die deutsche Ex-Justizministerin Katarina Barley (SPD), die als Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der EU-Wahl angetreten war, hat die Nominierung von der Leyens scharf kritisiert. "Das ist nicht das Versprechen, das den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl gegeben wurde", sagte Barley am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin".
In ihrer Fraktion im EU-Parlament würden viele gegen die Personalie stimmen, kündigte Barley an. Auch sie persönlich werde dagegen stimmen. Es gehe nicht um Vorbehalte gegen von der Leyen persönlich, sondern um den Prozess zur Postenbesetzung an sich.
"Wir sind ein Parlament und wir wählen", sagte Barley. Das "Problem" liege im Europäischen Rat. Viele fühlten sich dem Spitzenkandidatenkonzept dort nicht verpflichtet. Den Wählern sei ein Versprechen gegeben worden, das viele nie vorhatten einzuhalten, kritisierte die SPD-Politikerin.
Söder: "Denn sie wissen nicht, was sie tun"
Martin Schulz, ehemals Präsident des EU-Parlaments und Ex-SPD-Chef, kommentierte lakonisch: "Von der Leyen ist bei uns die schwächste Ministerin. Das reicht offenbar, um Kommissionschefin zu werden.
Selbst CSU-Chef Martin Söder, Parteifreund des eigentlichen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber, zeigte gewissen Unmut: "Ich bin ganz sicher, dass die aktuelle Entwicklung in Europa verfilmt werden könnte unter dem Motto ,Denn sie wissen nicht, was sie tun'."
Nach zähem Ringen um die Besetzung der EU-Spitzenposten war von der Leyen am Dienstag beim EU-Gipfel in Brüssel für das Amt der Kommissionschefin nominiert worden. Das Europaparlament muss die Personalie mit der Mehrheit seiner Abgeordneten noch bestätigen.
Grüne werden wohl nicht für von der Leyen stimmen
Neben den Sozialdemokraten übten auch die Grünen Kritik. Sie sind derzeit nicht bereit, von der Leyen bei der Wahl zur Kommissionspräsidentin zu unterstützen. "Ich sehe noch keinen Grund, warum wir diesem Deal zustimmen sollten", sagte die Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, Ska Keller, im ZDF-"Morgenmagazin". Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sei bei der EU-Wahl nicht angetreten.
"Das ist wieder so einer von den alten Deals, wo der Rat einfach jemanden aus der Schublade rausholt, den vorher noch nie jemand gesehen hat im Wahlkampf", sagte Keller. Dass das jetzt eine Mehrheit finde, das sehe sie noch nicht.
Österreichischer Unmut
Auch die österreichischen Europadelegationen der SPÖ, Grünen und Neos stellen sich gegen das aktuelle Personalpaket. SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder sieht den Rückzug von EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber als möglicher EU-Kommissionschef als "konsequent" an, da ihm die Unterstützung "an allen Ecken und Enden" fehle.
Das Paket, das die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als EU-Kommissionspräsidentin vorsieht, sei allerdings inakzeptabel und die SPÖ werde diesem Deal nicht zustimmen, hieß es in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Die "Abkehr vom Spitzenkandidaten-Prinzip" bezeichnete Schieder als einen "großen Fehler".
Die Vorsitzende der grünen Delegation im Europäischen Parlament Monika Vana sieht das Verhalten der EU-Regierungschefs ebenfalls als "inakzeptabel" an und rief das Europaparlament zu einem "starken Signal" auf. Ein solches wäre die Wahl der Grünen Spitzenkandidatin Ska Keller zur Präsidentin des Europaparlaments.
Auch für NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon war das Prozedere "ein unwürdiges und undemokratisches Schauspiel".
Freude im Osten
Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben die Nominierung von der Leyens hingegen begrüßt. Die Regierungen in Tallinn, Riga und Vilnius äußerten am Mittwoch ihre Unterstützung für die CDU-Politikerin.
Betont wurde dabei vor allem ihre pro-europäische Haltung und ihre Rolle bei der Stärkung der Sicherheit der drei EU- und NATO-Staaten im Nordosten Europas. "Eine starke Kandidatur und eine gute Wahl, die Europa stärker machen wird!", schrieb der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins auf Twitter.
Polens Außenminister Jacek Czaputowicz schlug in eine ähnliche Kerbe und sprach von einer "guten Wahl".
"Das wird sicher ein Vorteil sein, denn als Kommissionschefin wird sie bei ihrer Arbeit verschiedene Perspektiven verschiedener Länder und Fraktionen vereinen müssen." Czaputowicz sagte zu der Nominierung weiter, Polen und die Länder der Region hätten bewiesen, dass man ihnen EU-Personalentscheidungen, hinter denen programmatische und politische Lösungen stünden, nicht aufzwingen könne.
Polen und die Partner der Visegrad-Gruppe, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, hatten die Kandidatur des niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans für das Amt des Kommissionspräsidenten entschieden abgelehnt.
Pressestimmen: "Wie schrecklich kurzsichtig"
NZZ, Schweiz: "Alles, was von der Leyen anpackte, schien ihr im Handumdrehen zu gelingen. Warum nicht auch der Vorsitz der EU-Kommission? Wie Macron ist sie äusserst ehrgeizig, kommunikativ, weltgewandt, und dazu spricht sie auch noch fliessend Englisch und Französisch. Wären da nur nicht die durchwachsene Bilanz und mancher schwerer Patzer im Verteidigungsministerium, die ihren Glanz in Deutschland erblassen ließen."
De Standaard, Belgien: "Keiner der Spitzenkandidaten, die von ihren Parteien als europäische Gallionsfiguren aufgestellt wurden, überlebte das zynische Kräftemessen, das die Verteilung der Spitzenjobs in Europa darstellt. (...) Stattdessen kam in der letzten Minute die Ersatzspielerin von Angela Merkel, Ursula von der Leyen, von der Bank. (...) Die Verteilung der Macht gleicht immer einem Schlachtfeld aus fragilen Gleichgewichten, rohen Interessen, unvereinbaren Rivalitäten und persönlichen Ambitionen."
Berliner Morgenpost, Deutschland: "Europa wird weiblicher und deutscher. Das ist gut so."
Bild, Deutschland: "Unter Führung der Kanzlerin haben die Staats- und Regierungschefs der EU kurzerhand die Europa-Wahlen annulliert: Egal, wer als Kandidat angetreten war. Egal, wer gewonnen hat. Die „Chefs“ drehen ihr Ding. Das war anders versprochen. Das geht so nicht. Wenn das Europa-Parlament einen Funken Stolz hat, sagt es Nein. Aus Prinzip. Aus Selbstachtung. Merkels Macht-Erfolg würde dann zu einer ziemlich beispiellosen Krise der Europäischen Union. Wie schrecklich kurzsichtig."
Welt, Deutschland: "Eine Ministerin, die ihre Arbeit in Berlin nicht gut gemacht hat und von den Bürgern ausweislich der Umfragen als schwach wahrgenommen wird, wird mit dem höchsten Posten der EU belohnt – für den sie sich nicht einmal bewerben musste. Das ist keine gute Botschaft in einer Zeit des grassierenden Politikverdrusses."
La Repubblica, Rom: "In Europa sind nun zwei Eiserne Ladys an der Macht. (...) Von der Leyen ist ohne Zweifel die zweitmächtigste Frau in Deutschland und ist immer weniger beliebt gewesen als die erste - auch wegen Fehlern, die die Kanzlerin Angela Merkel nie gemacht hätte. Im Skandal um Neonazis in der Bundeswehr sagte sie, dass der Fisch vom Kopf her stinke. Jemand wies sie dann darauf hin, dass sie die Chefin der Bundeswehr sei."
Libération, Paris: "Zwei Frauen in zwei Schlüsselpositionen: Die Europäische Union hat zweifellos gerade gepunktet, indem sie bei der Aufteilung der kontinentalen Zuständigkeiten spektakuläre Fortschritte in Richtung Parität gemacht hat."
de Volkskrant, Niederlande: "Am Ende haben alle 'Spitzenkandidaten' verloren (nicht nur Timmermans). Das System, bei dem der Wähler mit seiner Stimme beeinflussen kann, wer Kommissionspräsident wird, scheint begraben worden zu sein."
El Periódico, Spanien: "Die Tatsache, dass zwei Frauen (Ursula von der Leyen und Christine Lagarde) an der Spitze der Kommission und der EZB stehen werden, sendet eine starke Botschaft der Erneuerung und der Gleichheit, und das muss als positiv betrachtet werden."
Magyar Nemzet, Ungarn: "Der Brüsseler Gipfel brachte eine weitere Grundwahrheit ans Tageslicht. Was da auch immer heruntergebetet wird von 'gemeinsamen europäischen Werten', von 'Solidarität' und was auch weiter, am Ende kommt heraus, dass die drei wichtigsten Führungsposten (in der EU) an eine Deutsche, eine Französin und einen Belgier gehen sollen. (...) Diese Lösung ist das Ergebnis beinharter Durchsetzung nationaler Interessen. Deshalb gebührt der moralische Sieg jenen, die schon immer ehrlich über die Durchsetzung nationaler Interessen gesprochen haben."
Kommersant, Russland: "Die Europäische Union hat im letzten Moment eine neue Krise vermieden, die entstanden wäre, wenn der Gipfel in Brüssel gescheitert wäre."