Politik/Ausland

Referendum zur Abtreibung in Irland: Todsünde oder Privatsache

Was ihre Schwester durchmachen musste, sei keiner Frau zumutbar, klagt Martha Lynch. „Sie wurde schwanger, doch ihr Baby hatte eine fötale Missbildung. In Irland durfte sie die Schwangerschaft nicht abbrechen. Sie musste dafür unter großen Mühen nach England reisen.“ Wegen des Schicksals ihrer Schwester wird die Dublinerin am 25. Mai für die Abschaffung des verfassungsrechtlichen Verbots von Abtreibungen in Irland stimmen. Derzeit ist ein Schwangerschaftsabbruch in dem früher streng katholischen Land nur möglich, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Die irische Regierung hielt das für nicht mehr zeitgemäß und setzte das Referendum an.

„Frauen sollen selbst entscheiden können. Das heißt ja nicht, dass man für Abtreibungen ist“, betont Martha Lynch. Ähnlich sieht es der Pensionist Liam Curran, der ebenfalls für eine Liberalisierung stimmen wird. „Eine gute Freundin von mir brachte ein Kind mit besonders schwerer Form von Down-Syndrom zur Welt. Die folgenden Jahre gingen sie und ihr Mann durch die Hölle. Menschen sollten selbst bestimmen können, ob sie sich in eine solche Situation begeben wollen oder nicht.“

Befürchtungen

Dem widerspricht Lorraine Kingston aus dem Vorort Swords. „Mein Neffe hat Down-Syndrom. Er ist eine unglaubliche Bereicherung für die Familie. Wer sind wir, dass wir entscheiden könnten, ob ein solches Leben lebenswert ist oder nicht?“ Auch im Fall einer lebensbedrohlichen Missbildung sollten Abtreibungen verboten bleiben, so Kingston. „Diese Kinder könnten Monate oder Jahre überleben. Auch hier stellt sich die Frage: Wie können wir darüber urteilen, ob ein solches Leben lebenswert ist oder nicht?“

Gegner der Abtreibung in Irland fürchten, was in vielen Ländern Europas mit liberalen Abtreibungsgesetzen längst Realität ist: Angehende Eltern entscheiden sich dagegen, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen.

Befürworter der Liberalisierung, darunter der irische Regierungschef Leo Varadkar, verweisen darauf, dass auch Verbote Abtreibungen nicht verhinderten. „Wir wissen, dass jedes Jahr Tausende irische Frauen – aus jedem Bezirk des Landes – für Abtreibungen ins Ausland reisen. Wir wissen, dass viele Frauen Abtreibungspillen mit der Post erhalten“, rechtfertigte er das Referendum.

Knappe Mehrheit für Reform

Falls die Iren am 25. Mai für die Abschaffung des Verbots stimmen, will die Regierung Abtreibungen per Gesetz ohne Einschränkung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche erlauben. Bei Gefahr für das Leben der Mutter oder Missbildungen soll eine Abtreibung auch später möglich sein. Laut Umfragen ist derzeit eine knappe Mehrheit für die Reform. Die Abtreibungsgegner fühlen sich aber im Aufwind. „Je mehr sich die Bürger über die geplanten Änderungen informieren, desto weniger gefallen sie ihnen“, erklärte ein Vertreter der Pro-Life-Kampagne.

Der Kampf um die Stimmen wird vor allem über Plakate ausgetragen. Politische Werbung in Radio und TV ist verboten. Ein Poster der Abtreibungsgegner zeigt ein zwölf Wochen altes Baby im Bauch der Mutter mit der Botschaft „Lizenz zum Töten?“. Die Reformbefürworter kontern mit dem Slogan „Manchmal braucht eine Privatsache öffentliche Unterstützung“. Das selbst für irische Verhältnisse ungewöhnlich schlechte Wetter der vergangenen Wochen stellte beide Seiten auf eine harte Probe. „Das Anbringen der Plakate war eine furchtbare, undankbare Aufgabe“, klagt Anti-Abtreibungsaktivist John McGuirk.

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Die früher in Irland so dominante katholische Kirche hält sich in der Debatte auffallend zurück. Mit gutem Grund: In den vergangenen zwei Jahrzehnten schockierten Hunderte Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester die Öffentlichkeit. Das hat dem Ruf der Kirche schwer geschadet. Anti-

Abtreibungsorganisationen arbeiten kaum mit religiösen Argumenten. „Damit versuchen sie, junge Wahlberechtigte anzusprechen, die mit katholischen Werten nichts am Hut haben“, sagt Patsy McGarry, Journalist der Irish Times.

Die Dublinerin Mary O’Beirne weiß noch nicht, wie sie abstimmen wird. Ihr missfällt etwas Grundlegendes: „Es sollten nur Betroffene an dem Referendum teilnehmen dürfen – also keine Männer.“