Nervenkrieg um Europas Topjobs geht erneut in die Verlängerung
Irgendwann sind auch Angela Merkels Kräfte erschöpft. Die deutsche Kanzlerin soll hoch konzentriert bis in die Morgenstunden verhandeln können, während ihre Gegenüber schon reihenweise wegbrechen, so zumindest berichten es einige ihrer politischen Freunde. Doch nach zähen 20 Stunden Verhandlungen die Nacht hindurch bis Montag Vormittag war auch für Merkel Schluss.
Eine Schlaf- und Nachdenkpause bei der Suche nach Kandidaten für die wichtigsten Jobs in der EU war angesagt. Heute, Dienstag, werden die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel weiter verhandeln.
Dabei schien es schon zum Greifen nahe – ein fertig geschnürtes Personalpaket für das Amt des Chefs für Kommission, Parlament, Rat und den Auswärtigen Dienst der EU. Und an der Spitze kursierte der Name Frans Timmermans als Favorit für den Posten des nächsten Kommissionspräsidenten.
Nein zu Timmermans
Doch Ungarn, Polen, Tschechien und Italien legten sich gegen den Niederländer quer. Dort begegnet man dem Vize-Chef der Kommission, der die Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Warschau und Budapest vorantrieb, geradezu als Feind. Das Nein der Osteuropäer blieb die ganze Nacht hindurch unerschütterlich.
Nicht mit der Brechstange
Für den Posten des Kommissionspräsidenten würde zwar die Zustimmung von mindestens 21 Staaten reichen, die zusammen 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren. Doch mit der Brechstange, gegen den Willen der Višegrad-Staaten und Italiens, sollte nicht gestimmt werden.
„Es ist unglaublich kompliziert“, seufzte der sichtlich genervte niederländische Premier Mark Rutte nach der ergebnislosen Verhandlungsnacht. Er bezweifelte, dass sich heute ein Kompromiss finden lässt.
Parlamentspräsident
Die Zeit drängt: Morgen, Mittwoch, muss das heute frisch konstituierte EU-Parlament einen neuen Präsidenten wählen. Präsentieren die EU-Staats- und Regierungschefs bis dahin nicht ihr Personalpaket, legen die 750 EU-Abgeordneten eben ihren eigenen Chef fest. Dieser neue Parlamentspräsident muss aber nicht unbedingt ins Paket der EU-Regierungschefs passen.
Favorit für das Amt des Parlamentschefs: Manfred Weber. Der EVP-Spitzekandidat hatte eigentlich Chef der Kommission werden wollen. Doch der Bayer war am Widerstand des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gescheitert.
Liberale als mögliche Kompromisskandidatin
Eine kleine Chance, als lachende Dritte aus dem Ringen um den Kommissionschefposten auszusteigen, hat weiter Margrethe Vestager. Die liberale EU-Kommissarin aus Dänemark könnte die Kompromisskandidatin sein, die weder in West- noch in Osteuropa aneckt.
Sie wäre die erste Frau an der Spitze der Kommission, hat Regierungserfahrung und gilt mir ihrer wirtschaftsliberalen Haltung einigen EVP-Regierungschefs als annehmbarer als der Sozialdemokrat Frans Timmermans.
Kanzlerin Angela Merkel jedenfalls sieht sich noch nicht am Ende ihrer Verhandlungskräfte. Trocken wie gewohnt sagte sie nach dem nächtlichen Verhandlungsmarathon: „Politik ist eben der Versuch, das Mögliche zu realisieren, und das dauert manchmal.“