Politik/Ausland

Libanon: Ein Land trotzt den Wirren in seiner Umgebung

„Wenn die Situation hier ernst wird, dauert das keine Tage, keine Wochen, sondern fünf Sekunden“, sagt der Sicherheitsbeamte in einem noblen Café in der Beiruter Innenstadt. „Die Mehrheit der Libanesen schätzt den Frieden, doch es gibt zu viele Clans, zu viele Sekten.

Wenn sich eine radikale Minderheit dazu entschließt, die Waffen zu erheben, laufen ihre Verwandten oder Glaubensbrüder mit. Und Waffen haben sie alle“, sagt der Mann.

Dabei wirkt es nicht so, als könnte die Stimmung durch irgendetwas getrübt werden: Studenten bummeln plaudernd durch die Straßen, ältere Herren sitzen in Cafés, diskutieren, spielen Backgammon. Im Park nahe der Libanesischen Nationalbibliothek schaukeln Kinder, Mütter genießen die Sonnenstrahlen.

Kriegsruinen & Luxus

Kaum zu glauben, dass nur 50 km östlich die Grenze zu Syrien beginnt, wo seit mehr als sieben Jahren unbeschreibliches Grauen herrscht.

„Die Welt vergisst schnell, dass auch wir einen langen Albtraum durchmachen mussten – und das 15 Jahre lang“, sagt Yakub, ein libanesischer Christ, zum KURIER.

„So etwas will niemand mehr“, setzt er nach und zeigt auf eine Gebäuderuine aus der Zeit des Bürgerkriegs (1975–1990). In der ganzen Stadt bezeugen diese Häuser die Schrecknisse dieses Konflikts. Maschinengewehreinschüsse, zerborstene Dächer, gesprengte Fassaden.

Doch daneben erheben sich moderne Wolkenkratzer und Wohnblöcke, Banken und Hotels. Im Verkehrschaos Beiruts hupen Maseratis und Porsches in großer Zahl, Männer in teuren Anzügen stolzieren durch die Straßen. Durch seine liberale Steuerpolitik zieht der Libanon reiche Unternehmer an, vor allem aus Golfstaaten.

18 verschiedene Glaubensgemeinschaften leben im Libanon, das wirkt sich auch auf die Geräuschkulisse in Beirut aus: Muezzin-Rufe und Glockengeläut wechseln einander ab, aber in der Stadt ist nichts von religiösen Spannungen zu spüren.

Rund 35 Prozent der Libanesen sind Christen, mit jeweils etwa 27 Prozent sind Sunniten und Schiiten im Land vertreten.

Das prägt die politische Landschaft stark: Jede Glaubensgemeinschaft hat zumindest eine politische Vertretung.

Ein hochrangiges Mitglied der Amal-Bewegung, einer politischen Partei, die ein Bündnis mit der schiitischen Hisbollah eingegangen ist, vergleicht die politische Situation mit dem Verkehrschaos in Beirut: „Jeder fährt, wie er will, es gibt viele Querstraßen, man weiß nie, aus welcher Richtung jemand kommt“, sagt er zum KURIER.

Macht-Balance

Stabilität sei trotzdem das höchste Ziel aller Regierungsparteien.

Dies zeigt auch die verfassungsrechtliche Aufteilung der Regierungsämter: Der Präsident des Libanon muss stets ein Christ sein, während der Premierminister Sunnit und der Parlamentspräsident Schiit sein soll.

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Ob die Stabilität anhält, wird sich nach dem 6. Mai weisen: An diesem Tag finden zum ersten Mal seit neun Jahren Parlamentswahlen statt.

Politische Beobachter erwarten sich zwar keine große Veränderung, jedoch dürfte sich die Regierungsbildung traditionell als schwierig erweisen.

„Es herrscht ein Ringen um den Einfluss im Libanon. Der Iran greift durch die Hisbollah nach immer mehr Macht im Land, jedoch sind viele Christen und Sunniten davon überzeugt, dem arabischen Raum anzugehören, und unterstützen daher die Saudis“, sagt Ibrahim Khoury, ein ehemaliger Journalist und Kenner der libanesischen Politiklandschaft gegenüber dem KURIER.

„Die Hisbollah dürfte jedenfalls in den schiitischen Gebieten viele Stimmen bekommen, da sie zusammen mit der Amal antritt und daher keine Konkurrenz zu befürchten hat“, erklärt er.

Schutz durch Hisbollah

Vor allem im Süden des Landes sind die Schiiten stark vertreten. In jedem Dorf wehen Dutzende gelb-grüne Fahnen der Hisbollah, die im benachbarten Israel als Feind und Terroristenorganisation gilt.

An Häusern und Torbögen prangen die Fotos jener Männer, die im Syrien-Konflikt gestorben sind. „Märtyrer“ nennen ihre Familien und Freunde sie.

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Seit Jahren kämpft die Hisbollah an der Seite der Assad-Regierung, ihre Soldaten gelten als kampfstark. „Durch unser Engagement in Syrien beschützen wir den Libanon vor Terroristen“, sagt ein Hisbollah-Vertreter zum KURIER.

1600 Kämpfer hat die Miliz in Syrien verloren, jedoch stark an Kampferfahrung gewonnen.

Nicht nur Hisbollah-Vertreter sehen die Miliz als Stütze der Stabilität im Libanon: Der libanesischen Armee ist es von der UNO verboten, schwere Waffensysteme zu besitzen, die Hisbollah sei durch ihr Raketenarsenal ein Schutzschild gegen israelische Angriffe.

Auch im Kampf gegen den Terror konnten Hisbollah und Armee Erfolge verbuchen: Im August 2017 vertrieben sie die Terrormiliz „Islamischer Staat“ aus der Bekaa-Ebene nahe der syrischen Grenze.