Politik/Ausland

Internationale Pressestimmen: "Türkei-Feind Kurz hört auf"

Der Rücktritt von Sebastian Kurz aus der Politik interessiert nicht nur in Österreich. Auch Medien im Ausland, allen voran im deutschsprachigen Raum, berichten über den Abgang und vor allem auch den Abstieg des einstigen "Wunderkindes". Aber selbst in der Türkei hat man den Abgang des ehemaligen Kanzlers kommentiert.

NZZ.at (Schweiz)

"Die Einsicht in die Schwierigkeit seiner Rolle gab möglicherweise den Ausschlag für Kurz’ vollständigen Rückzug. Überraschen kann dieser aber nicht. Nichts deutet darauf hin, dass die strafrechtlichen Vorwürfe gegen ihn schnell geklärt sein werden. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der ehemalige Kanzler für seine Partei ein erhebliches Risiko, eine allfällige Spitzenkandidatur bei der nächsten Wahl wäre wohl auch intern höchst umstritten. Dass Kurz aber längerfristig im Hintergrund wirkt, war immer schwer vorstellbar. Er ist kein Mann für die zweite Reihe und keiner für die politische Detailarbeit. An seiner letzten Wirkungsstätte, im Parlament, wirkte er geradezu fremd."

Yeni Şafak (Türkei)

Die regierungsnahe türkische Tageszeitung Yeni Şafak titelte: "Türkei-Feind Kurz hört mit der Politik auf" und schrieb weiters im Artikel: "Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, dessen Name in Korruptionsvorwürfe verwickelt war, gab bekannt, dass er den Parteivorsitz verlassen und sich von der aktiven Politik verabschieden werde. Der 35-Jährige, bekannt für seine Türkei-feindlichen Äußerungen, trat bereits im Oktober wegen Korruptionsvorwürfen als Bundeskanzler zurück. Aufgrund seines jungen Alters galt er in Europa als Hoffnungsträger."

Die Zeit (Deutschland)

"Die große Erzählung, mit der Kurz einst angetreten war, ist ins sich zusammengebrochen. Er hatte versprochen, einen neuen Stil einzuführen – und wurde damit zum mit Abstand beliebtesten Politiker des Landes. Das war seine harte Währung, sein Argument gegen alle, auch die Kritiker in der eigenen Partei, warum seine Art, Politik zu betreiben, die richtige sei. Doch von der großen Zustimmung ist wenig geblieben. In den Umfragen stürzte er ab, in Beliebtheitsrankings belegte er Plätze weit hinten. Warum sollte man an so jemandem festhalten, war die Frage, die man sich in der ÖVP immer mehr gestellt hatte."

Cicero (Deutschland)

"Er war lange Jahre die große konservative Hoffnung Westeuropas. In Zeiten, in denen der Zeitgeist grün weht, progressiv und links, aber auch eine Reizfigur für seine Gegner. Ein vergleichsweise sehr junger Bundeskanzler, rhetorisch überaus begabt, mit großem Selbstbewusstsein und noch größeren Ambitionen; einer, den sich die Union so oder so ähnlich auch lange für Deutschland gewünscht hätte. Nun hat Sebastian Kurz, Jahrgang 1986, seinen Rückzug aus der Politik verkündet."

Der Tagesspiegel (Deutschland)

"Seine parteiinterne Botschaft („Mit mir gewinnt ihr Wahlen“) zog nicht mehr, seine Alleinherrschaft in der konservativen ÖVP ist beendet. Die ständigen Debatten um Korruptionsskandale, in die er und sein engstes Umfeld verwickelt sein sollen, seine jüngst aufgehobene Immunität als Abgeordneter, waren ein unüberwindbares Problem für die Art und Weise geworden, wie Sebastian Kurz Politik macht. Defensive ist sein Ding nicht, seine Leute – sie selbst nennen sich „Prätorianer“ – und er haben in den vergangenen Jahren eine Kommunikationsmaschinerie aufgebaut, die ihresgleichen sucht in der österreichischen Politik."

Basler Zeitung (Schweiz)

"Wenn man seine Befragungen vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss, das Vernehmungsprotokoll vor einem Richter, seine Pressekonferenzen, seine Rücktrittserklärung las und hörte, dann präsentierte Kurz sich immer als Mann des Ausweichens und der Ausreden. Einer, der andere schlecht aussehen liess und im Zweifel alte Freunde nicht mehr kannte. Der keine Verantwortung übernahm, wo er sie ganz offensichtlich trug. Ein kleiner Geist mit einem grossen Ego. Dass sich ihm die Partei trotzdem andiente und unterwarf, dass er trotzdem zwei Wahlsiege holte und mit der FPÖ, später mit den Grünen zwei so unterschiedliche Koalitionspartner gewann, mag seinem Image als junger Alleskönner geschuldet sein. Sein Aufstieg war aber vor allem auch ein Vorbote jener zunehmend populistischen, nationalistischen, spalterischen, aggressiven Stimmung, die sich nicht erst mit der Corona-Pandemie in Europa ausbreitet. Kurz stand, ähnlich wie Viktor Orbán in Ungarn und Jarosław Kaczyński in Polen, früh für einen Kurs der europäischen Desintegration und der gesellschaftlichen Härte gegen Schwache und Fremde. Dass sich diese politische Grundhaltung zum Mainstream entwickelte, darauf war Kurz auf kuriose Weise immer stolz. Seine Partei war da ambivalenter. Christliche und traditionell konservative Kreise hatten wachsende Zweifel am zunehmend defensiven Showman Kurz. Er hat jetzt das Feld geräumt für eine Neuaufstellung. Es wurde Zeit."

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