Politik/Ausland

Griechenland-Türkei: Schwierige Nachbarschaft

Die Männer waren halbnackt, durchgefroren und verzweifelt. Vor einigen Wochen entdeckten Bewohner des türkischen Dorfes Kiremetci Salih an der Landgrenze zu Griechenland im Nordwesten der Türkei eine Gruppe Flüchtlinge aus Jemen und Palästina. Sie waren laut eigenen Angaben von griechischen Grenzschützern bei der Flucht über den Fluss Maritza auf EU-Gebiet erwischt, misshandelt und zurückgeschickt worden: Bei einigen der Männer waren Spuren von Schlägen auf dem Rücken zu sehen, wie türkische Medien meldeten.

Für die Flüchtlinge endete der Traum von einem besseren Leben in einem türkischen Teehaus, in dem sie sich aufwärmen durften, bevor sie von der Polizei in ein Auffanglager gebracht wurden. Vorfälle wie der in Kiremetci Salih häufen sich, sagt die Türkei. Vier Jahre nach der großen Flüchtlingskrise von 2015 bestimmt das Thema wieder die Tagesordnung der Beziehungen zwischen Ankara und Athen. Auch der am Dienstag begonnene Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in der Türkei – seine erste Visite beim Nachbarn seit drei Jahren – steht im Zeichen ungelöster Streitfragen und gegenseitiger Vorwürfe.

Alle Inhalte anzeigen

Während die Türkei beim Flüchtlingsthema über die Rückführung ungewollter Schutzsuchender durch die Griechen klagt, blickt Griechenland mit Sorge auf die wieder steigende Zahl von Menschen, die aus der Türkei kommen. Rund 50.000 waren es im vergangenen Jahr, nach 35.000 im Jahr zuvor. Auch die neue Zahl ist zwar relativ niedrig im Verglich zum Krisenjahr 2015, als 800.000 Menschen über die Ägäis nach Griechenland übersetzten. Aber Athen befürchtet, dass es weiter nach oben gehen könnte und dass sich die Türkei auf diese Weise dafür rächt, dass griechische Gerichte die Auslieferung mutmaßlicher Erdogan-Gegner verweigern.

Hinter dem gegenseitigen Misstrauen in der Flüchtlingsfrage steckt eine Menge historischer Ballast. Die NATO-Partner Türkei und Griechenland sind traditionelle Rivalen, die sich auch nach hundert Jahren immer noch nicht auf den genauen Verlauf ihrer Seegrenze in der Ägäis einigen können. Immer wieder gibt es in der Gegend deshalb militärische Spannungen, 1996 wäre es fast zum Krieg gekommen.

Streit gibt es auch wegen reicher Gasvorräte unter dem Meer um die geteilte Insel Zypern. Die Türkei befürchtet, dass die international anerkannte griechische Inselrepublik die Ressourcen alleine ausbeuten will, ohne den türkischen Inselsektor zu beteiligen. Mehrfach hat die türkische Kriegsmarine deshalb Erkundungsbohrungen gestört.

Die geplante Zusammenarbeit von Zypern, Israel, Griechenland und Italien beim vorgesehenen Bau einer Gaspipeline durch das Mittelmeer nach Europa geht der Türkei ebenfalls gegen den Strich. Sein Land werde keine vollendeten Tatsachen hinnehmen, warnte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin einen Tag vor der Ankunft von Tsipras.

Angesichts der Fülle von Problemen rechnet keine der beiden Seiten mit raschen Fortschritten. Immerhin entschloss sich die Türkei aber zu einer Geste an Tsipras, die für die Zukunft der Beziehungen hoffen lässt. Als erster amtierender Ministerpräsident seines Landes überhaupt darf Tspiras an diesem Mittwoch das geschlossene griechisch-orthodoxe Priesterseminar Halki auf der Insel Heybeliada bei Istanbul besuchen.

"Symbolische Bedeutung"

Weil die Schule 1971 von den türkischen Behörden verriegelt wurde, stirbt dem griechisch-orthodoxen Klerus im ehemaligen Konstantinopel allmählich das Personal weg. Das Verbot der Priesterausbildung ist seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Streitpunkte zwischen der Türkei und Griechenland sowie zwischen Ankara und der EU.

Dass Tsipras das geschlossene Seminar nun besuchen darf, bedeutet zwar nicht, dass die Schule bald wieder geöffnet wird; die Türkei fordert als Gegenleistung die seit Jahren immer wieder verschobene Eröffnung einer Moschee in Athen. Doch immerhin zeigt Erdogan mit der Besuchserlaubnis eine gewisse Flexibilität.

Von einer „großen symbolischen Bedeutung“, sprach der griechisch-orthodoxe Patriarch Barthomoläus I deshalb: Mehr als Symbolik ist derzeit offenbar nicht drin im schwierigen Verhältnis zwischen Türken und Griechen.