Politik/Ausland

Frankreich: Macron geht vor Le Pen in Stichwahl ums Präsidentenamt

aus Paris Simone Weiler

Eigentlich wollten die Französinnen und Franzosen dieselbe Konstellation in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl wie bereits 2017 nicht noch einmal erleben. Umfragen zufolge lehnen sie seit Jahren eine Wiederauflage des damaligen Duells Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen ab. Doch beim ersten Durchgang am gestrigen Sonntagabend qualifizierten sich erneut der Amtsinhaber und die Rechtspopulistin. Ersten Auszählungsergebnissen zufolge erreichte Macron 28,5 Prozent, Le Pen lag demnach bei 24,2 Prozent.

Le Pen: "Selbstständigkeit"

Le Pen pocht auf Frankreichs Selbstständigkeit und Werte. Für die Stichwahl hätten sich „zwei entgegengesetzte Visionen der Zukunft“ durchgesetzt, sagte sie am Sonntagabend in Paris. Sie vertrete „die soziale Gerechtigkeit rund um das jahrtausendealte Konzept von Nation und Volk“. Sie werde die nationale Unabhängigkeit und die Möglichkeit der einfachen Franzosen sicherstellen, für sich selber zu entscheiden. „Ich werde Frankreich in fünf Jahren in Ordnung bringen“. Macron dagegen warnt trotz seines Vorsprungs vor vorschneller Siegesgewissheit. „Vertun wir uns nicht, nichts ist entschieden“, sagte er Sonntagabend in Paris. Mit Blick auf Le Pen warb Macron für ein unabhängiges und starkes Frankreich, verankert in einem starken Europa, statt eines fremdenfeindlichen Frankreichs, das sich von der internationalen Bühne verabschiede. Es gehe ihm um ein Frankreich, das Fortschritt für alle biete, die Vollbeschäftigung anstrebe und in der Lage sei, Sozialleistungen und einen Wohlfahrtsstaat zu finanzieren.

Traditionsparteien draußen

Schon 2017 verfehlten erstmals in der Geschichte der Fünften Republik die traditionellen großen Volksparteien, die Sozialisten und die Republikaner, die Stichwahl. Beide hat Macron dauerhaft geschwächt, indem er sich erfolgreich in der politischen Mitte platzierte und ihnen wichtige Schwergewichte abwarb. Sowohl für die Sozialistin Anne Hidalgo mit 1,9 Prozent als auch für die Republikanerin Valérie Pécresse mit rund fünf Prozent sind ihre einstelligen Ergebnisse keine Überraschung, aber dennoch ein herber Rückschlag. Auch der grüne Kandidat Yannick Jadot vermochte mit 4,4 Prozent keinen Profit aus der Tatsache zu ziehen, dass die Umwelt- und Klimaproblematik laut Umfragen zu den wichtigsten Themen gezählt werden.

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"Keine Stimme für Le Pen"

Ihm lief der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon mit einem ähnlichen Programm, etwa der Forderung nach einem Atomausstieg, den Rang ab. Mélenchon hatte in den vergangenen Tagen kontinuierlich in den Umfragen zugelegt, erreichte mit rund 20 Prozent aber nur den dritten Platz. Etliche Wähler des linken Lagers, das bei dieser Wahl sechs der zwölf Kandidatinnen und Kandidaten stellte, entschieden sich für den 70-Jährigen in der Hoffnung, er verhindere, dass nach 2002 und 2017 erneut eine rechtsextreme Partei die zweite Runde erreicht. Melenchon erklärte nach der Wahl, man "dürfe für Le Pen keine einzige Stimme abgeben".

Besser als 2017

Le Pen geht trotzdem aus dieser Wahl gestärkt hervor und kann in zwei Wochen mit einem deutlich besseren Ergebnis rechnen als 2017, als sie im zweiten Durchgang gegen Macron 34 Prozent erzielte. Denn zum einen haben sich Linkswähler vom Präsidenten abgewendet, der sie mit seiner wirtschaftsfreundlichen Reformpolitik und sozialen Einschnitten enttäuschte – sie könnten der Wahlurne schlicht fernbleiben. Zum anderen hat die Kandidatur des Rechtsextremen Éric Zemmour Le Pens Strategie einer „Entdämonisierung“ gestützt, die sie seit Jahren verfolgt, um ihre Wählerschaft zu vergrößern. Zemmour, der mehrmals wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt wurde, trat so radikal auf, dass Le Pen dagegen maßvoll erschien.

Zu radikal

Mal zeigte er einer Passantin am Rande eines Wahlkampfauftrittes den Mittelfinger, dann schloss er die Aufnahme ukrainische Flüchtlinge aus – bis er dem Druck nachgab und die Meinung änderte. Beide hatten sich, wie auch Mélenchon, bis zur russischen Invasion in der Ukraine als große Bewunderer von Präsident Wladimir Putin gezeigt. Doch das führte nur bei Zemmour zu einem Einbruch seiner Popularität.

Anwältin der Schwachen

Le Pen konzentrierte sich vielmehr geschickt auf die Kaufkraft als das Thema, das die Menschen in Frankreich derzeit am meisten umtreibt. Sie lehnte Wirtschaftssanktionen ab und versprach eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie. In ihrem Wirtschaftsprogramm ähnele sie stark der sozialistischen Linken, sagte der Soziologe Erwan Lecoeur: „Sie spielt die Karte des populistischen wirtschaftlichen Patriotismus.“

Zemmour empfiehlt Le Pen

In der zweiten Runde kann Le Pen nun auf Zemmours Wählerstimmen setzen. Der empfahl gleich im Anschluss an die erste Runde, in der zweiten Le Pen zu wählen. Zwar wird sie bei den meisten Themen, die das Land in der nahen Zukunft umtreiben, als weniger kompetent eingeschätzt als Macron – beim Umgang mit dem Krieg in der Ukraine, mit der Corona-Pandemie oder auch für die Verbesserung der Wirtschaftslage. Doch viele wünschen sich eine Abwahl des Präsidenten, der ihnen arrogant erscheint. Seine Hauptankündigung im Wahlkampf war bislang die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 65 Jahre – kein Versprechen, das die Französinnen und Franzosen begeistert. Um klar gegen Le Pen zu siegen, wird Macron in den kommenden Wochen noch mehr anbieten müssen.