Deutschland: Wenn sich Neonazis fit machen für den Umsturz
Von Stefan Schocher
Keine Regeln – so die Grundregel. Oder möglichst keine Regeln. Es darf getreten, geschlagen, geworfen, geschoben, gezwickt, gekitzelt werden. Aus ist ein Kampf, wenn einer aufgibt, ohnmächtig wird, oder der Schiedsrichter den Kampf abbricht. Es fließt Blut bei MMA-Kämpfen. Viel Blut.
MMA steht für Mixed Martial Arts, also einer Kampfsportart, in der Techniken aller Kampfsportarten verwendet werden dürfen. Aber weniger wegen seiner Brutalität gerät dieser Sport in Deutschland nun ins Zwielicht, als wegen rechtsextremer Tendenzen. Denn zumindest in Teilen der MMA-Szene geht es weniger um den zweifelhaften Spaß an einem regellosen Kräftemessen, als um Begriffe wie „Rasse“, „Nation“ und „Wehrhaftigkeit“.
Es ist ein Name, der in diesem Zusammenhang seit geraumer Zeit immer wieder fällt: Denis Nikitin, einst Hooligan im Umfeld eines Moskauer Klubs, heute Unternehmer in Deutschland. Und einer mit Visionen: „Meine Aufgabe ist global, ich muss alle Lebensbereiche eines modernen Menschen abdecken“, sagte er in einem Interview 2017. Seine Botschaft in dem Gespräch mit einer ukrainischen Webseite: „Entwickelt euch weiter, habt Erfolg! Sieg heil!“ In dem Interview spricht Nikitin auch ausführlich darüber, dass er Fußball eigentlich nicht möge, sondern eher die Schlägereien nach dem Match – so hatte er sich zum Beispiel maßgeblich an der zu medialem Ruhm gelangten Massenschlägerei bei der Fußball-EM 2016 in Marseille beteiligt.
Das Gesamtpaket, das Nikitin mittlerweile anbietet: T-Shirts, Taschen, Sportkleidung, Sportnahrung, Wandergruppen, Selbstverteidigungskurse und eben Kampfsportveranstaltungen. All das mir einem klar rechtsextremen, nationalistischen Hintergrund. Kleidung seines Labels „White Rex“ wird bei Neonazi-Veranstaltungen in ganz Europa vertrieben. Zu seiner Sparte Kampfsport sagte Nikitin einmal: „Ich gebe weißen Jungs die Möglichkeit, ihre Kräfte zu messen. Du musst selber gesünder und stärker werden.“
Mittlerweile hat Nikitin MMA-Veranstaltungen in Italien, Frankreich und vor allem Deutschland organisiert. Diese in konspirativem Umfeld ausgetragenen Turniere tragen Namen wie „Kampf der Nibelungen“ oder „Turnier des Kriegers“ und zogen zu Beginn einige Dutzend Zuschauer an. Zu Nikitins letztem Turnier im deutschen Ostritz kamen aber geschätzte 600 zahlende Gäste.
Trainieren für den Tag X.
„Die Szene trainiert ihre Gewaltkompetenz, sie trainiert für den Tag X“, so beschreibt der Rechtsextremismus und Fankultur-Experte Robert Claus den eigentlichen Zweck solcher Turniere. Es gehe darum, sich fit zu machen für den Umsturz. Und, so sagt er: Solche Events dienen vor allem auch der Rekrutierung. Nicht zuletzt wird Geld gemacht: Geld, so sagt Claus, das „eins zu eins in die Szene fließt“.
Ähnlich sieht es Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Der sagte gegenüber dem Spiegel: Nikitins „Widerstands und Bürgerkriegsrhetorik“ deute darauf hin, dass er „Rechtsextremisten für gewaltsame Auseinandersetzungen mit den vermeintlichen Feinden der Szene befähigen“ wolle. Verfassungsschützer untersuchen laut Spiegel gar, ober der Mann nicht Teil einer staatlichen „Destabilisierungskampagne“ sein könnte.
Ein Fazit, das Claus zieht: Grundsätzlich finde die Kampfsportszene bei den deutschen Behörden bisher zu geringe Aufmerksamkeit. Nicht nur polizeilich, sondern auch sportpolitisch, wie Claus hin Hinblick auf den weitestgehend unregulierten Raum meint, in dem Leute wie Nikitin agieren.
Was Beobachter der Szene dabei besonders hellhörig macht: Nikitin agiert strategisch, hat sich über Jahre gekonnt als Nazi-Asket in Szene gesetzt, ist in der europäischen Neonazi-Szene bestens vernetzt. Zudem hat er Geld. Und außerdem: Seine Biografie wirft viele Fragen auf.
Wie der Spiegel recherchierte heißt Nikitin eigentlich Denis Kapustin, kam 2001 als jüdischer Kontingentflüchtling mit seinen Eltern nach Deutschland, lebte zwischenzeitlich aber in Moskau , wo er sich in der Hooligan-Szene herumtrieb. Außerdem ist er eigentlich vier Jahre älter, als er vorgibt zu sein und sitzt derzeit in der Ukraine fest. Und hier bricht das öffentliche Bild des asketischen Saubermannes, das der Neonazi gerne von sich pflegt.
Die ukrainischen Behörden nahmen ihn im Zusammenhang mit Drogen- und Waffengeschäften fest. Derzeit soll er sich auf freiem Fuß befinden, darf aber nicht ausreisen. Sein Pass wurde ihm abgenommen. In jüngerer Vergangenheit soll Kapustin sehr viel Zeit in der Ukraine verbracht haben. Die Rede ist von Geschäften mit Amphetaminen. Zudem soll er Versucht haben, zu scharfen Waffen umgebaute Signalpistolen zu besorgen.