Politik/Ausland

Warum die deutsche Ampel über ein Relikt aus den 1950ern streitet

Wo, wenn nicht in Deutschland, könnte ein Streit über Steuern mit so viel Emotionen verknüpft sein: In der Zeit liest man Artikel mit Titeln wie „Weg mit diesem Überbleibsel aus dem Patriarchat“, verfasst von einem der einflussreichsten Ökonomen des Landes, und in der SPD zanken Parteichef und Kanzler öffentlich um dieses Relikt.

Was passiert ist? In Deutschland tobt – wieder einmal – der Streit um die Abschaffung des Ehegattensplittings. Hinter dem Wortungetüm versteckt sich eine steuerliche Regelung aus dem Jahr 1958, nach der Eheleute ihre Gehälter gemeinsam versteuern können. Klingt nach wenig, ist aber seit mindestens 40 Jahren ein ideologischer Streitpunkt bei unseren nördlichen Nachbarn.

Denn die aus Adenauers Zeiten stammende Regelung, wonach Paare ihr Einkommen zusammenrechnen und halbieren können, sodass jeder dasselbe Steueraufkommen zahlt, benachteilige Frauen massiv, so der Vorwurf. Das Splitting begünstigt nämlich hauptsächlich Paare, bei denen einer viel und der andere recht wenig verdient – das halte Frauen, die im Regelfall weniger verdienen, im Endeffekt vom Arbeitsmarkt fern. Eine Erwerbstätigkeit rechne sich für sie nach Abzug der Steuern oft nicht mehr, kritisierte auch die OECD mehrfach.

Das Problem dabei: Wer verheiratet ist, entkommt dem Splitting nicht – darum wird auch seit 40 Jahren immer wieder über die Abschaffung der Regelung gestritten.

Frauenfeindlich

Jetzt aufgebracht hat die Idee SPD-Chef Lars Klingbeil, der das „antiquierte Steuermodell, das die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstigt“, endlich loswerden wollte. Und hat damit – nach den Querelen um Heizungsgesetz, Kindergrundsicherung und Haushalt – einen neuerlichen internen Streit in der Ampel provoziert: Die Grünen, seit jeher skeptisch gegenüber allem, was Frauen benachteiligen könnte, zeigten sich umgehend offen – nur die FDP blockierte. Sie argumentiert, wie übrigens auch die CDU, dass damit auch die Sonderstellung der Ehe – dass man füreinander auch steuerlich Verantwortung übernehme –, abgeschafft würde.

Dass die FDP dazu nein sagen würde, war allerdings schon vorab klar – das macht sie seit Jahrzehnten, schließlich dient die Idee ihrem begüterten Kernklientel. Warum Klingbeil dann den Vorschlag gebracht hat?

Offenbar ging es nur um Sichtbarkeit: In den Reihen der SPD heißt es, mit einer ernsthaften Abschaffung habe ohnehin niemand gerechnet. Man habe, nachdem die SPD in den letzten Ampel-Debatten meist schwieg, die politische Debatte kapern wollen, so die Lesart aller Beobachter. Hintergrund dabei ist, dass nur noch knapp ein Fünftel der Deutschen aktuell mit der Regierungspolitik zufrieden ist, und auch die Beliebtheit von Olaf Scholz ordentlich nachlässt. Die AfD hingegen liegt in jüngsten Umfragen bei 20 Prozent.

Kanzler Olaf Scholz war das mediale Rauschen rund um die Idee seines Parteichefs aber wohl zu viel. Noch vor seiner großen Sommerpressekonferenz, bei der das Thema bei Journalisten ganz oben stand, ließ er wissen: Für „Normalverdiener“ habe niemand vor, das Splitting abzuschaffen. Wie das für Besserverdiener aussieht, ließ er – noch – offen. E. Peternel