Politik/Ausland

Deutschland, die Union und das rechte Dilemma

Anwälte, die Flüchtlinge vertreten, gehören zur „Anti-Abschiebe-Industrie“ und der Islam nicht zu Deutschland: Je näher die Landtagswahl in Bayern rückt, desto rauer sind die Töne aus der CSU. Den erklärten Feind AfD will sie bekämpfen, die CDU, die in Hessen und Brandenburg wählt, will dies ebenfalls. Doch über eine klare Strategie ist die Union uneins. Für Frank Bösch, CDU-Kenner und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, steht fest: Wer ihre nationalistische Agenda besetzt, macht sie nicht kleiner, das zeigt die Geschichte.

KURIER: Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben, sagte einst der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Sein Nachfolger Söder beschwörte dieses Credo wieder und will mit diesem Kurs wieder rechtsorientierte Wähler zurückgewinnen. Hat sich das Strauß-Mantra denn je bewährt?

Frank Bösch: Es gab rechts von der CSU immer wieder rechte Parteien, die wellenförmig aufkamen und wellenförmig verschwunden sind, deshalb wird es auch immer wieder beschworen. Strauß’ Zitat stammt aber aus einer Zeit, wo es kurz für zehn Jahre keine Partei rechts von der CSU in Parlamenten gab, weil Anfang der 1970er die NPD aus den Landtagen ausgeschieden war.

Wie hat die Union rechte und rechtsextreme Parteien bisher in Schach gehalten?

Durch eine Doppelstrategie: Zum einen mit einer Ausgrenzung, indem Parteien als rechtsextrem deklariert wurden und es bewusst Vereinbarungen gab, nicht mit ihnen zu kooperieren. Selbst bei Parteien wie den Republikanern oder der NPD , die sich anfangs aus ehemaligen CDU-Abgeordneten formierten und zunächst eine rechte Variante der Union waren. Diese Strategie der klaren Abgrenzung, die jetzt auch gegenüber der AfD gefahren wird, hat in der CDU eine lange und erfolgreiche Tradition, was ein wichtiger Unterschied zu Österreich ist. Die zweite Strategie war, dass sie die Themen der Rechten aufgriff, die Sorgen der Wähler ernst nahm. Gegenüber den Republikanern reagierte sie mit der Verschärfung der Asylgesetzgebung, gegenüber der AfD mit der Verschärfung der Bedingungen für Flüchtlinge.

Wie wahrscheinlich ist eine Zusammenarbeit mit den Rechten, ähnlich wie in Österreich?

Im Moment dominiert eine Abgrenzung, die nicht aufgebrochen wird. Bisher war es so, dass sich die Parteien rechts von der CDU immer weiter radikalisiert haben; der gemäßigte Teil ist ausgetreten, der harte Kern ist geblieben. Bei der AfD zeichnet sich tendenziell ähnliches ab. Insofern gibt es nach derzeitigen Bedingungen und historischen Erfahrungen keine Anzeichen, die auf einen Schulterschluss hinweisen.

Tonalität und Themen der AfD werden von manchen Unionspolitikern aber übernommen. Das nützt doch den Rechten?

Der internationale Vergleich zeigt, dass christdemokratische Parteien ja eher verlieren, wenn sie sich an rechtspopulistische Parteien annähern oder koalieren. In den Ländern, wo wir wie in Österreich einen betont konservativen Kurs haben, sind die rechten Parteien nicht kleiner geworden. Selbst in Polen oder Ungarn haben wir trotz der nationalistischen Regierung starke Parteien rechts von ihnen, die genauso hohe Werte haben, wie die AfD. Die extreme Rechte wird nicht automatisch kleiner, wenn man die nationalistische Agenda besetzt.

Warum zeigt vor allem die CSU sprachlich weniger Berührungsängste mit der AfD?

Die Christdemokraten sind in ihren Bundesländern sehr unterschiedlich strukturiert, es gibt konservativere und liberalere. Der Föderalismus erlaubt das unterschiedliche Auftreten. Allerdings ist klar, dass die CSU nur ein Landesverband einer gemeinsamen Fraktion ist und insofern etwas mehr Aufmerksamkeit kriegt, als sie tatsächlich an Mitgliedern und Stimmen hat. Wenn man sich das Wahlverhalten anguckt, gibt es zwei Indikatoren, die den AfD-Erfolg begünstigen: Das eine ist die Nähe zur Grenze. Die AfD bzw. rechte Parteien sind erfolgreich in grenznahen Räumen – im Osten und im Süden, in dem Fall auch in Österreich. Das verweist darauf, dass die Flüchtlingsfrage in Bayern die Stimmung stärker beeinflusst als im Norden. Zudem gibt es eine katholische Prägung: Früher haben Katholiken und gläubige Christen seltener ihr Kreuz rechts von der CDU/CSU gemacht. Das hat sich etwas geändert, da viele Katholiken den Wertewandel fürchten. Das stärkt ebenfalls die AfD in Bayern.

Viele Konservative begründen das  Erstarken der AfD ja auch damit, dass CDU/CSU den Menschen keine politische Heimat mehr bieten. Die „WerteUnion“ macht Druck für eine „Rückkehr zu konservativen Wurzeln“. Was ist damit gemeint?

Der Konservatismus hat eine gewisse Melancholie und lebt von dem Glauben, dass es früher etwas besser war. Das gilt auch für seine Sicht auf die CDU. Dabei hat die Union immer viele Flügel gehabt. Der Erfolg der CDU verdankt sich hingegen vor allem dem liberalen Kurs von Merkel, nicht der Konservatismus. Ihre Annäherung an die politische Mitte hat die CDU dauerhaft gestärkt, was ihr als konservative Partei sicher nicht gelungen wäre. Der europäische Vergleich unterstreicht dies.

Was sind aus Ihrer Sicht konservative Werte?

"Konservativ" ist ein sehr vager Begriff und vielleicht daher so erfolgreich. Er beruht auf einem skeptischen Menschenbild, akzeptiert die menschliche Ungleichheit, lebt vom Glauben an die Überlegenheit und Stärke der eigenen Nation und Kultur. Zu den Wurzeln des Konservatismus zählen zudem Normen, die aus der Religion abgeleitet werden. Derzeit sind es vor allem zwei Felder,  die Konservative mobilisieren: die Flüchtlingsfrage und religiös geprägte kulturelle Werte.

In jeder bayerischen Behörde soll ab 1. Juni ein Kreuz hängen. Steht das nicht im Widerspruch zum Grundgesetz, das Religionsfreiheit garantiert? 

Wir haben in Deutschland die Trennung von Staat und Religion, die natürlich auch zu wahren ist, um nicht die religiösen Gefühle von unterschiedlichen Menschen zu behelligen. Das gilt für den Islam genauso wie auch für die christliche Religion. Allerdings beziehen viele Christdemokraten und vor allem die AfD diese Trennung vor allem auf islamische Symbole. Der Verweis auf die christliche Tradition rechtfertigt das.

Auch das „christliche Abendland“ hat derzeit Konjunktur, es klingt wie ein Kampfbegriff, um den AfD und Union rittern.

Das "christliches Abendland" ist ein Begriff der 50er Jahre, der einst die Gründung der Europäischen Gemeinschaft und den anti-kommunistischen Zusammenhalt der christlichen Parteien in Westeuropa propagierte. Aufgeblüht ist der Begriff zur Abgrenzung zum Islam, wobei viele – auch CDU-Politiker neuerdings auch vom „christlich-jüdischen Erbe“ sprechen. Die AfD spricht vom "christlichen Abendland", ohne dass ihre Politiker und Anhänger besonders christlich sind. Angesichts ihres Erfolgs in Ostdeutschland, wo Religion kaum eine Rolle spielt, ist die Kirchenbindung sehr gering. In der CDU/CSU spielt die Kirchenbindung dagegen immer noch eine größere Rolle.


Und was meint CSU-Landesgeschäftsführer Alexander Dobrindt, wenn er von einer „konservativen Revolution“ spricht?

Der Begriff ist sehr unglücklich gewählt, da er eigentlich auf die Rechtsintellektuellen der Weimarer Republik verweist. Ihm und vielen Konservativen geht es um etwas anderes. In ihrer Vorstellung dominieren die 68er die Werte und die kulturelle Macht in der Republik. Gegen die 68er-Revolution, die ihr Jubiläum feiert und stark in den Medien ist, wolle sie eine Werterevolution von Rechts setzen. Diese Vorstellung einer linken Hegemonie von 68ern in der Gesellschaft ist bei vielen Anhängern der CDU/CSU und erst recht der AfD sehr verbreitet. Die Angst vor Homo-Ehen etwa mobilisiert ebenso wie die Angst vor Flüchtlingen.

Eigentlich kann er sich ja nicht beklagen. Die Union stellt seit zwölf Jahren die Kanzlerin, zuvor war Helmut Kohl - mit einer Unterbrechung durch Gerhard Schröder - 16 Jahre an der Macht.

Dennoch glauben viele Anhänger der Union und der AfD, die Bundesrepublik würde von Links beherrscht. Die Vorstellung, dass die Medien links seien, der großstädtischen Zeitgeist und die Kultur von Linken beherrscht sei, ist natürlich etwas, was in vielen Ländern und auch in Österreich vertraut ist. Diese Vorstellung ist seit dem Kaiserreich vertraut, als man vom "roten Berlin" sprach. Als Kohl bei der Wahl 1976 49 Prozent erreichte, kursierte dennoch in der Union die Vorstellung, dass die linken Medien seine absolute Mehrheit verhindert hätten. Dass der linke Zeitgeist die schweigende Mehrheit überdeckt, ist ein alter Topos, der noch immer sehr aktuell ist. Dies unterschätzt freilich die Macht der Provinz.

Angela Merkels Politik der Mitte hat diese Vorstellung bei ihren Kritikern vermutlich befeuert.

Die CDU ist unter Merkel viel liberaler geworden, genauer die CDU-Führung und das Bild der CDU. Bei den Partei-Mitgliedern ist es anders, bei denen ist ja Merkel oft weniger beliebt als bei ihren Wählern. Insofern war es ein richtiger Schritt - kaum jemand hat in den Nullerjahren mit einem Erfolg der CDU in dieser Form gerechnet. Diese Reform bei der Ehe- und Familiengesetzgebung und Kinderbetreuung waren Schritte, die das Ansehen der CDU modernisiert haben.

 

Zur Person: Prof. Dr. Frank Bösch ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam und Univ.-Professor für europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam. Er ist Autor von zahlreichen Büchern, auch zur Geschichte der CDU.

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