Politik/Ausland

Brexit-Boris droht mit No-Deal und kämpft für Neuwahlen

„Ich liebe Europa!“ – kurzes Zögern in der Menge, so als glaubten die Tories gerade selbst nicht, was ihr Chef da gerade gesagt hatte. Dann doch Applaus. Boris Johnson fuhr fort: „Heute haben wir Brüssel konstruktive und begründete Vorschläge vorgelegt.“

Johnsons Kompromissvorschlag sieht vor, dass die als Backstop bezeichnete Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland aus dem Austrittsabkommen gestrichen wird.

Alternative „No-Deal“

An ihre Stelle soll eine komplizierte Regelung treten, die Zollkontrollen erforderlich machen würde, wenn auch nicht direkt an der Grenze. Der von Brüssel geforderte Schutz des Europäischen Binnenmarkts vor Produkten, die nicht den EU-Standards entsprechen, läge in der Hand des nordirischen Regionalparlaments.

Dieses würde alle vier Jahre darüber entscheiden, ob sich der britische Landesteil an europäischen oder an britischen Standards orientiert. Nach dem Willen Londons soll sich die EU gleichzeitig verpflichten, in keinem Fall Kontrollen an der Grenze durchzuführen.

Werde keine Einigung mit der EU erzielt, sei die Folge für Johnson klar: „Die Alternative ist: No Deal.“

Die renommierte britische Politologin Melanie Sully sieht im KURIER-Gespräch durchaus Chancen für den britischen Premier: „Johnson benötigt bis zum EU-Gipfel am 17. Oktober eine Einigung, hofft, dass Angela Merkel seinen Vorschlag unterstützt.

Und so unwahrscheinlich ist das nicht, denn die Deutschen hätten viel lieber ein Abkommen, als gar kein Abkommen. Ganz im Gegensatz zu Frankreich.“ Merkel selbst wollte sich zu den Plänen noch nicht äußern.

Gleichzeitig war Johnsons Rede laut Sully aber auch eine Vorbereitung für Neuwahlen gewesen. „Johnson will eine Wahl, in der der Brexit eine große Rolle spielt – ganz im Gegensatz zu Labour-Chef Jeremy Corbyn, der lieber innenpolitische Themen wie die Gesundheitspolitik forciert“, ist Sully überzeugt.

„Viele Bälle in der Luft“

Vor allem nach seinen zahlreichen Niederlagen im Unterhaus steht Johnson unter Druck, muss an allen Fronten gleichzeitig sein: „Man sieht, dass er kämpft. Er hat viele Bälle in der Luft, mit der EU, mit dem Parlament. Und er weiß nicht, wo die am Ende landen“, sagt Sully. Tatsächlich sieht sie gestiegene Chancen für den Premier, ein Abkommen durch das Unterhaus zu bringen, nicht zuletzt wegen der neuen Rolle der nordirischen DUP: „Die Partei ist seit den Austritten einiger Tories keine Königsmacher-Fraktion im Unterhaus mehr.“

Zuvor hatten die Tories nur mit Unterstützung der DUP eine parlamentarische Mehrheit, doch diese ist mittlerweile hinfällig. In den bisherigen Abstimmungen über ein Abkommen mit der Europäischen Union hatte die DUP in Verweis auf den Backstop gegen die Regierung votiert. Das hat sich laut Sully mittlerweile geändert: „Es ist Bewegung in die Partei gekommen. Arlene Foster (DUP-Chefin, Anm.) ist kompromissbereit, es könnte tatsächlich passieren, dass Johnson dank der DUP mit einem Abkommen Erfolg im Unterhaus hat.“

Armin Arbeiter