Anti-jüdische Hetzer unterwandern die "Gelbwesten"
Von Danny Leder
Seit drei Monaten halten die Aktionen der „Gelbwesten“ Frankreich in Atem, und fast jede Woche sorgen Gewalttaten und sonstige Exzesse für neuerliche Schockwellen – während die Zahl der Demo-Teilnehmer und Sympathisanten in der Bevölkerung, laut Umfragen, sinkt.
In der Vorwoche gab es den Versuch eines Sturms auf das Parlament, Todesdrohungen gegen Abgeordnete der Partei von Präsident Emmanuel Macron und einen Brandanschlag auf den Wohnsitz des Parlamentspräsidenten. Diesen Sonntag wurde ein prominenter jüdischer Intellektueller, Alain Finkielkraut, der einen Marsch der „Gelbwesten“ zufällig kreuzte, von Demonstranten vor laufenden Kameras bedroht und als „dreckiger Zionist“ beschimpft.
"Wir haben diesen Hass satt"
Das traf einen Nerv. Alle Spitzenpolitiker, allen voran Macron und die Nationalistin Marine Le Pen, reagierten mit Empörung. Das Massenblatt „Parisien“ coverte in Balkenlettern: „Wir haben diesen Hass satt!“
Schon in den Tagen zuvor hatte sich die Öffentlichkeit vordringlich mit dem Thema beschäftigt. In Paris hatten anti-jüdische Schmierereien Aufsehen erregt. Unter anderem war das Porträt der verstorbenen EU-Parlamentspräsidentin und Ausschwitz-Überlebenden, Simone Veil, eine der populärsten Persönlichkeiten Frankreichs, mit Hakenkreuzen überschmiert worden.
In einer Vorstadt war ein Gedenkbaum für einen ermordeten jungen Juden, Ilan Halimi, umgesägt worden. Der 24 jährige Halimi, der aus einer marokkanischen Einwandererfamilie stammte und als Angestellter in einem Handy-Laden arbeitete, war 2006 von einer Bande junger Vorstädter unter Anleitung eines muslimischen Judenhassers entführt worden, um Lösegeld von seiner angeblich reichen, weil jüdischen Familie zu erpressen. Nachdem seine Mutter, eine Alleinerzieherin, das Geld nicht schnell genug aufbringen konnte, wurde Halimi zu Tode gefoltert.
"Box-Hieb in die Magengrube"
Gleichzeitig meldete jetzt der alljährliche Behörden-Bericht für 2018 einen Anstieg der anti-jüdischen Vorfälle um 74 Prozent gegenüber 2017. Die Mehrzahl der als rassistisch eingestuften Fälle (541) betreffen Juden, obwohl diese weniger als ein Prozent der Bevölkerung ausmachen. „Das habe ich wie einen Box-Hieb in die Magengrube empfunden“, kommentierte Premierminister Edouard Philippe, ein Amateurboxer.
Im Zuge von „Gelbwesten“-Aktionen waren bereits zuvor obszöne anti-jüdische Parolen aufgetaucht. Einiges kreiste um die berufliche Laufbahn von Macron, der vormals in der Pariser Rothschild-Bank gearbeitet hatte. Da die „Gelbwesten“ auch innerhalb von drei Monaten keine gemeinsame Organisation zustande brachten und sich jeder mit gelbem Umhang in ihre Märsche eingliedern kann, wurden sie umso leichter von ultralinken und ultrarechten Grüppchen unterwandert. Manchmal schritten „Gelbwesten“ gegen antijüdische Hetzer ein. Aber eine klare Distanzierung gab es nur von wenigen ihrer Wortführer.
Mehrere Studien haben inzwischen gezeigt, dass das Milieu der „Gelbwesten“ sich in überdurchschnittlichen Ausmaß gegenüber den herkömmlichen Medien abschottet, nur per Facebook und Webportale informiert und für die dort verbreiteten Verschwörungstheorien besonders anfällig ist.
Islamisten als "Gelbwesten"
Besonderen Einfluss übt dabei ein außergewöhnliches politisches Duo aus, das der Judenhass eint: es handelt sich um den in Frankreich einst beliebten Kabarettisten Dieudonné Mbala Mbala, Sohn einer Französin und eines Kameruner, der noch immer ein breites, eher jüngeres Publikum in seinen Bann zieht. Und um einen Neo-Nazi, Alain Soral, der im Web ein Propaganda-Imperium betreibt. Beide wollen ein Bündnis zwischen jungen muslimischen Vorstädtern und Rechtsradikalen. Das führt zum Zwischenfall um Alain Finkielkraut. Einige der „Gelbwesten“, die ihn bedrohten, wurden als polizeibekannte Islamisten identifiziert.
Finkielkraut, der dem altehrwürdigen Gremium der „Académie francaise“ angehört, steht für wert-konservativen Patriotismus, äußert Vorbehalte gegenüber der, seiner Meinung nach, mangelnden Assimilierung von Migrantenkindern und kritisiert die, aus seiner Sicht, „Überheblichkeit“ der globalisierten Eliten in den urbanen Metropolen. Weswegen er auch anfänglich die Bewegung der „Gelbwesten“ als Aufschrei der „verachteten Bewohner der Peripherie“ mit Sympathie betrachtete. Seine teilweise national-konservativen Positionen machten ihn aber schon seit geraumer Zeit zum Buhmann für viele Linke, auch liberalen Intellektuellen ist er nicht geheuer.
Kritik am antifaschistischen Jargon der Linken
Seinerseits wirft Finkielkraut der Linken aber auch Präsident Macron vor, sie würden durch ihren anti-faschistischen Jargon und historische Verweise auf das Nazi-Regime, das Faktum überdecken, dass Juden in Frankreich heute fast ausschließlich von jungen Muslimen bedroht werden. Tatsächlich kamen seit 2003 in Frankreich dreizehn Personen bei Attacken um, die durch islamistischen Judenhass motiviert waren – darunter geplante Anschläge auf jüdische Einrichtungen aber auch Impulsmorde durch Nachbarn. Auch bei den übrigen Angriffen, Drohungen und Schmähungen, die in den letzten Jahren zehntausende Juden zum Umzug aus ihren ursprünglichen Wohngegenden veranlassten, scheinen fast nur junge Muslime als Täter auf, klassische Rechtsradikale spielen dabei keine Rolle.
Deswegen hält Finkielkraut auch die Vergleiche, die Macron zwischen der gegenwärtigen Bedrohung der Juden und den rechtsradikalen Umtrieben in den 1930er Jahren in Europa zieht, für „falsch“.
Finkielkraut sieht sich zwar als Gegner des „Rassemblement National“ von Marine Le Pen. Er beanstandet aber, dass bei der groß angelegten All-Parteien-Demonstration gegen Antisemitismus, die für Dienstag in Paris auf Initiative der Sozialisten anberaumt wurde, die Partei der Nationalistin ausgeschlossen wurde.