Teşekkür ederim* Istanbuler!
Von Walter Friedl
Zugegeben, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan stand bei der Bürgermeisterwahl in Istanbul nicht auf dem Stimmzettel – sein autoritäres Sultan-System in Form von Ex-Premier Binali Yildirim (von der Regierungspartei AKP) aber schon. Und dem wurde am Sonntag eine schallende Ohrfeige erteilt. Ekrem Imamoğlu, der junge Shootingstar der Opposition, fuhr einen spektakulären Sieg ein. Zu Recht geht ein Aufatmen durch liberale türkische Kreise.
Denn Imamoğlu repräsentiert das andere Gesicht der Türkei: In seinen Reden stellt er das Verbindende über das Trennende. Ganz im Gegensatz zum diabolisch auftretenden Staatsoberhaupt, das hinter jedem politischen Gegenwind Terroristen und finstere Mächte im Ausland vermutet und Gegner wegsperren lässt.
Spätestens jetzt sollte er erkennen, dass diese polarisierende Strategie nicht mehr verfängt – zumindest in den Städten nicht mehr. Die Menschen haben das System Erdoğan satt. Ändern wird sich zunächst aber vermutlich nichts, der Präsident sitzt bis zu den nächsten regulären landesweiten Wahlen im Jahr 2023 fest im Sattel. Es darf bezweifelt werden, dass er die Zeichen der Zeit erkennt und von seinem polternden und isolationistischen Kurs abweicht.
Umso wichtiger ist es jetzt, dass europäische Staaten und die EU als Ganzes die Brücken zur Türkei, namentlich zu den demokratischen Kräften, nicht kappen und populistisch auf ein Ende der Beitrittsgespräche drängen. Denn die Bewohner der Bosporus-Metropole haben am Sonntag ein beeindruckendes demokratisches Zeichen gesetzt – und das unter schwierigsten Bedingungen. Sie haben sich die Solidarität Europas mehr als verdient. walter.friedl