Ein Abend als Komparse: gespielte Normalität
Von Marco Weise
Wien, Ottakring. Es ist 22 Uhr: Ich verfolge einen Typen, trage eine Waffe, ziehe sie aber nicht – es steht nicht im Drehbuch. Laufen leider schon. Nach zehn Sprints hat der Regisseur (Marvin Kren) genug gesehen. Er schaut erleichtert, ich ringe nach Luft. Verständlich, Verfolgungsjagden sind neu für mich. Ich bin ja Kolumnist, wie Sie lesen können. Einer, der an dieser Stelle immer wieder mal aus seinem Leben berichtet.
Dass ich überhaupt einem Schauspieler (in diesem Fall Frederik Lau) nachlaufe, gehört zu einer mir selbst verschriebenen Anti-Langeweile-Kur: Raus aus dem „Und-täglich-nervt-Corona“-Alltag. Die Anmeldung bei einer Komparsenagentur sollte machbar sein. Können muss man nicht viel – außer: durchs Bild gehen, ohne aufzufallen, den Mund aufmachen, ohne etwas zu sagen.
Ein Tag als Komparse wird Ihr Bild vom Film ändern, es entzaubern. Sie werden sehen, wie hart und lange die Tage am Set sein können. Sie werden merken, dass es ohne Komparsen die meisten Filme nicht geben würde. Denn sie sind es, die eine Szene erst zum Leben erwecken, alles „normal“ und zufällig aussehen lassen. Und Sie werden staunen, wie schlecht Menschen dafür bezahlt werden (30 Euro für einen halben, 60 Euro für einen ganzen Tag). Nein, des Geldes wegen macht man das nicht. Warum die anderen Komparsen hier sind, weiß ich nicht. Mich bringt es auf andere Gedanken – weg von Intensivbetten.
Mittlerweile ist es Mitternacht. Noch eine Szene. Während sich Frederick Lau mit Bier stärkt, gibt's für Komparsen nicht einmal mehr Wasser. Egal. Denn: Endlich wieder (nach 20 Uhr) mit anderen auf der Straße stehen – ohne schlechtes Gewissen, der einzige Polizist weit und breit bin ich. Wir sind im Film, in einer Blase – alle getestet. Ein Tag als Komparse ist ein Tag gespielte Normalität – alles Fake. Und deshalb so schön.