Meinung/Kommentare/Salomonisch

Bildungsziele aus den Augen verloren

Jeder vierte Wiener Schüler kann nach acht Schuljahren nur mangelhaft lesen. Das hat der jüngste Lesetest ergeben. Hier tickt eine Zeitbombe. Dabei werden immer weniger Kinder von immer mehr Lehrer/innen unterrichtet.

Bei der kürzlich in Wien abgehaltenen Welthungerkonferenz der Caritas erzählte der Bevölkerungswissenschaftler Wolfgang Lutz ein bemerkenswertes Detail aus der finnischen Geschichte: Das von Hungersnöten heimgesuchte Land setzte auf Bildung als einzige Chance, um dem Elend zu entkommen. Schon vor Jahrhunderten durfte nur heiraten (und Sex haben), wer des Lesens mächtig war. Das prüfte der Pfarrer mithilfe der Bibel. Die Finnen lernten lesen.

Ist Österreich von dieser Notmaßnahme wirklich so weit entfernt, wie wir hoffen? In vielen Schulklassen steht Integration seit Jahren auf der Prioritätenliste ganz oben. Das ist auch wichtig, doch dadurch hat man die Bildungsziele aus den Augen verloren. Sitzenbleiben wird abgeschafft, negative Noten sind in weiten Bereichen verpönt. Daher können sich weder Firmen noch Fachhochschulen oder Unis auf die Abschlusszeugnisse der Schulen verlassen. Das hat sich peinlicherweise auch schon in Europa herumgesprochen. Manche internationale Universitäten zweifeln unsere Schulabschlüsse an.

Das sinkende Bildungsniveau ist auch durch die Zuwanderungspolitik (oder das Fehlen einer solchen) entstanden. Es wurde zu wenig darauf geachtet, gut gebildete, integrationsfähige und -willige Menschen anzuziehen. Dass Österreich aus EU-rechtlichen Gründen für Familien-Nachzug aus der Türkei jetzt nicht einmal mehr verpflichtend minimale Deutschkenntnisse verlangen darf, ist ein weiterer Rückschritt.

Aber wer nicht ordentlich lesen kann, läuft irgendwann Gefahr, zum Sozialfall zu werden.

Auf Pfarrer als letzte Rettung in der Not wie im alten Finnland werden wir nicht zählen können. Aber als ersten Schritt könnte man ja mit der Illusion aufräumen, dass ein Pflichtschulwesen erfolgreich sein kann, wenn man es immer nur auf die Schwächsten abstimmt.