Thomas Brezina: Star-Autor erklärt den Ratgeber-Boom
Von Axel Halbhuber
Als Brezina im Vorjahr nach 550 Kinderbüchern mit einem Erwachsenen-Ratgeber auffällig wurde, schmunzelten seine Kritiker hämisch. Sie erwarteten nach 30 Jahren Dauererfolg einen Bauchfleck. Ein halbes Jahr und das Mascherl „meistverkauftes Sachbuch des Jahres“ später bleiben zwei nüchterne Erkenntnisse: Thomas Brezina kann alles in Gold verwandeln. Und Ratgeber boomen noch immer.
Morgen erscheint die „Freude Notfall Apotheke: 21 Dinge, die bei Freudemangel helfen“, eine Fortsetzung zu „Tu es einfach“. Brezina scheint Freude daran gefunden zu haben, seine Freude zu teilen, und wird dabei überraschend persönlich. Der KURIER darf seine liebsten Tipps vorab zeigen (unten) und fragte den Autor nach der Macht des Rat-Gebens.
KURIER: Herr Brezina, helfen Ratgeber nur bei kleinen Sorgen oder auch bei Problem-Kalibern wie Armut, Krankheit, Tod?
Thomas Brezina: Das kommt auf den Ratgeber an. Ich kann nur darüber schreiben, was mir dabei geholfen hat, mehr Freude ins Leben zu bringen. Jedem passieren schreckliche Dinge, auch mir. Es stellt sich immer die Frage: Was kann ich tun? Ich habe zum Beispiel gelernt, beim Verlust eines Menschen aktiv zu trauern. Sich das auch zugestehen, nicht sagen: Ich komm schon darüber hinweg. Das heißt auch aktiv Hilfe suchen, aber niemals einfach nur Opfer der Umstände sein.
Ist „aktiv sein“ schon das wichtigste Rezept für Freude?
Das Buch „Tu es einfach und glaub daran“ war eine Zusammenfassung meiner Erfahrungen, wie man das Leben freudig gestalten kann. Die „Freude Notfall Apotheke“ ist eine Ergänzung, weil viele gefragt haben: Was machst du konkret in dieser oder jener Situation? Ich habe über die Jahre für solche Momente kleine Tricks gesammelt. Kein Mensch hat immer Freude.
Das klingt ... fantastisch. Da bräuchte es bitte ein Beispiel.
Ich hatte früher eine starke Tendenz zu jammern und mich in meinem Gejammer zu drehen. Heute, wenn ich das Jammern auf der Zunge habe, zwinge ich mich, vorher drei positive Erlebnisse oder Gedanken zu erzählen oder per SMS zu verschicken. Danach ist meine Lust zu jammern viel kleiner und ich mache mich schneller daran, eine Lösung zu finden.
Es überrascht, dass Sie solche persönlichen Dinge teilen. Früher war Ihr Privates streng tabu.
Alles im Leben hat und braucht seine Zeit. Ein großer Teil meiner Leser ist ja jetzt erwachsen. Ich spreche als erwachsener Mensch zu erwachsenen Menschen. Mich begleitet das Thema aber seit 25 Jahren: Wie man Freude und ein erfülltes Leben hat, wie man der Pilot des Lebens ist. Ich habe da viel gelernt und das dann Freundinnen und Freunden erzählt, später auf Instagram und Facebook geteilt. Es ist auf Interesse gestoßen. Ich gebe keine theoretischen Ratschläge, sondern erzähle, was für mich in welcher Situation funktioniert, und biete an, dass die Menschen es auch ausprobieren. Ich bin nicht der Herr Oberlehrer, ich bin Geschichtenerzähler. Jetzt erzähle ich eben Geschichten aus meinem Leben. Die Freude aus meinem Leben. Weil es mir ein Bedürfnis ist, auf die schönen Dinge zu schauen und andere zu motivieren, ebenfalls hinzuschauen.
Ihre Kinderbücher las jedes Kind, vom Wiener zum Tiroler, vom Arbeiterkind bis zum Elitenspross. Wer liest heute Ihre Lebensratschläge?
Bei meinen Veranstaltungen sitzen vom 16-Jährigen bis zum 70-Jährigen Menschen aus sämtlichen Bevölkerungsgruppen. Sie verbindet ein Wunsch nach Lebensfreude. So wie ich das eigene Leben gestalten zu wollen. Nicht Opfer zu sein, sondern daran glauben, dass man etwas tun kann.
Dabei ist „Opfer-sein“ gerade in Mode. Jeder überlegt nur, wo ihm etwas genommen wird und wer schuld ist. Ihre Leser empfinden offenbar anders.
Sie wollen zumindest nicht so empfinden, deswegen suchen sie Wege. Vieles, das rund um uns passiert, ist höchst verstörend, unangenehm, widerlich. Aber die Frage ist: Was kann ich jetzt tun? Diese Frage zu stellen, bringt dich in eine wesentlich bessere Situation. Aber sie braucht die Disziplin, etwas zu tun. Das ist eine Anstrengung, die man auf sich nehmen muss, weil es das einem wert ist, weil sie mich wohin bringt, wo ich mich wohler fühle. Gerade wenn rund um uns so viel passiert, halte ich es für wichtig, dass wir unsere Welt so gestalten, wie wir sie haben wollen, in dem Einflussbereich, den wir haben.
Sie schreiben, es gebe auch in Ihrem Leben Dinge, die Ihnen Angst machen.
Natürlich, das ist doch nur menschlich. Allerdings bin ich auch Geschichtenerzähler: Kleine Dinge können in meinem Kopf zu großen Geschichten wachsen. Im Privatleben kann ich das leider nicht abstellen. Also entstehen da in meinem Kopf aus kleinen Anlässen manchmal angsteinflößende Katastrophen, obwohl sie gar nicht da sind. Heute weiß ich das und kann damit besser umgehen. Und vor allem herzhaft über mich lachen.
Thomas Brezina: Kinderversteher und Geschichtenerzähler
Karriere
Schon als Schüler beginnt Brezina als Autor und als Puppenspieler bei „Habakuk“ Arminio Rothsteins Theater Arlequin. Nach Mitarbeit im ORF-Kinder-TV (u. a. „Am dam des“) startet 1990 seine steile Buch-Karriere (siehe unten). Im Kinderfernsehen reüssiert er ab 1993 mit „Tom Turbo“ und ab 2004 mit dem „Forscherexpress“ (KURIER-Romy). Seit 2008 ist Brezina für das ORF-Kinderprogramm verantwortlich.
Neben zahlreichen Aktivitäten (z. B. Musicals) gestaltet Brezina auch touristische Projekte von Serfaus-Fiss-Ladis bis Flughafen Wien und Stephansdom.
Privat
Thomas Brezina wurde 1963 in Wien geboren, ist seit 2017 verheiratet, lebt mit seinem Partner in Wien und London. Sein karitatives Engagement umfasst u. a. die Funktion eines UNICEF-Botschafters.
Seine Bücher
Bibliografie
Mit über 40 Millionen Gesamtauflage (550 Bücher in über 35 Sprachen übersetzt) ist Thomas Brezina Österreichs meistgekaufter Autor nach Johannes Mario Simmel. Mit 15 Jahren wurde er für ein Drehbuch prämiert, mit 27 startete seine „Knickerbocker-Bande“, kurz darauf „Tom Turbo“. Brezina schreibt bis zu 20 Seiten pro Tag.
Das neue Buch
„Die Freude Notfall Apotheke: 21 Dinge, die bei Freudemangel helfen“ (edition a, 17 €) ist Brezinas Fortsetzung zu „Tu es einfach und glaub daran“. Die Tipps (oben und rechts) sind Vorabdrucke aus dem Buch.
Hintergrund: Warum Ratgeberbücher boomen
Der schottische Schriftsteller Samuel Smiles ist bedingt schuld. Als er 1859 sein Buch „Self-Help“ veröffentlichte, konnte niemand wissen, dass 160 Jahre später gar nichts mehr ohne Lebenshilfe-Ratgeber gehen wird. Und auch wenn man sein Werk als den Beginn des modernen Ratgeber-Zeitalters sieht (davor waren es eher Benimm-Bücher), setzte der große Hype erst in den 1980ern ein. Seitdem glauben immer mehr Menschen, dass man nur kann, was man in einem Ratgeber gelesen hat. Aktuell etwa Zusammenräumen nach Marie Kondo (zuletzt: „Das große Magic-Cleaning-Buch: Über das Glück des Aufräumens“).
Ratgeber gelten nach Belletristik als zweitstärkstes Segment des Buchmarktes. Der Hauptverband des österreichischen Buchhandels weist sie sogar als eigene Bestseller-Liste aus, abgekoppelt von sonstigen Sachbüchern. Und auch wenn das Internet es geschwächt hat, macht ein Blick in Bestsellerlisten klar, dass die Menschen nach Büchern einerseits gerne abnehmen (aktuell auf den Plätzen 1, 3 und 14 der anerkannten Bestenliste des Magazin Spiegel), andererseits gerne kochen (Plätze 4 bis 6 auf der Verkaufsliste der Ratgeber im österreichischen Buchhandel im Vorjahr). Vor allem wollen sie aber ihr Leben und Lebensgefühl verbessern: 2018 war Brezinas „Tu es einfach“ das meistverkaufte Sachbuch Österreichs, gefolgt von „Das Kind in dir muss Heimat finden“ (Stefanie Stahl) und „Das Leben ist zu kurz für später“ (Alexandra Reinwarth).
Kritiker verweisen bei solchen Ratgebern oft auf den Hausverstand. Dies ergänzen Experten wie die klinische Psychologin Daniela Renn: „Es tut den meisten Menschen gut zu lesen, was Frau/Mann vermutlich eh schon weiß. Eine Bestätigung des Hausverstands stärkt die eigene Selbstwahrnehmung.“ Sie erlebe selbst, dass viele Klienten zuerst Ratgeber konsultieren, bevor sie professionelle Hilfe suchen. „Das ist prinzipiell gut. Aber vor allem im Internet muss man vorsichtig sein, denn jeder kann dort seine Meinung kundtun. Es ist wichtig, nicht alles für bare Münze zu nehmen. Ein Buch wird vor Druck zumindest immer von jemand anderem gelesen und rezensiert.“