Liebe unter Druck: Was Paarbeziehung heute bedeutet
Die Liebe zählt – immer noch. Ihr Stellenwert zeigt sich in einer Studie des Wirtschaftszentrums Berlin: 90 Prozent der 3000 Befragten meinten: „Die Liebe ist das höchste Gut im Leben.“ Aber es ist komplizierter denn je. Man strebt nach Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Vielfalt ebenso wie nach Sicherheit. Über die „Zukunft der Paarbeziehung“ sprechen Experten beim „Imago Paarkongress“ bis 6. Mai in Wien. Der KURIER traf Paartherapeutin Susanne Pointner, Präsidentin von Imago Austria.
KURIER: Früher hieß es: Wir wurschteln uns irgendwie zusammen, heute geht man in die Paartherapie. Was ist anders?
Susanne Pointner: Das hat damit zu tun, dass die Menschen immer mehr das Bedürfnis haben, sich neue Kompetenzen anzueignen. Wir brauchen das auch, weil sich die äußeren Umstände verändert haben und vieles, was selbstverständlich war, nicht mehr existiert.
Zum Beispiel?
Etwa die Normen durch die Kirche oder ökonomische Bedürfnisse. Der Anspruch an die Beziehung hat sich verändert. Wir wollen Erfüllung, Wachstum und einander bereichern. Heute geht es um innere Entwicklung, ganz anders als bei der Nachkriegsgeneration.
Und trotzdem ist auch das neue Biedermeier angesagt ...
Wir stecken im Umbruch, Geschlechterrollen werden neu definiert. Die Auswirkungen der Emanzipation haben erst begonnen. Das führt zu einer Polarisierung und Gegenbewegung. Wir sehen eine Rückkehr zum Weibchenschema und Superhelden, weil sich die Menschen nach klaren Archetypen und definierten Bildern sehnen. Paare tragen heute viele Sehnsüchte in sich – sie wollen Prinzessin und Prinz sein, aber nicht darauf eingeengt werden. Es ist viel in Bewegung, viele sind unsicher.
Wie sehr hat sich das Modell der Beziehung verändert?
Die Paarbeziehung ist zum Prestigesymbol geworden, mehr als materielle Güter. Das erzeugt Leistungsdruck. Auch die Kinder sollen perfekt werden. Heute zu sagen, dass es kriselt und man ratlos ist, wird als schwierig empfunden. Auch in der Phase der Familiengründung stehen Paare unter Druck. Die Frauen wollen nicht mehr daheimbleiben, die Männer noch nicht. Die Ansprüche sind enorm – an sich selbst, den Beruf und die Kindererziehung.
Welche sind die häufigsten Probleme, mit denen Paare in eine Therapie kommen?
Die Menschen haben heute die Wahl, es gibt eine große Vielfalt. Diese Freiheit macht Probleme. Die digitalen Möglichkeiten des Kennenlernens, Partnerbörsen, etc. sind mit einer großen Auswahlmöglichkeit verknüpft. Bei der Wahl des idealen Partners gelten marktwirtschaftlichen Kriterien, das erzeugt Stress.
Welche Rolle spielt Untreue?
Speziell in der „Rush Hour“ des Lebens ist die Gefahr hoch. Die Kinder sind halbwüchsig, man ist nur noch am Funktionieren. Das sucht sich ein Ventil. Affären sind die häufigsten Gründe, weshalb Paare zu uns kommen oder sich trennen. Bei der anderen Hälfte zeigt sich eine innere Distanziertheit, die sich über Jahre entwickelt hat. Es gibt viele, die in die Therapie kommen und sagen: Wir haben seit Jahren keinen Sex mehr.
Was wäre da die Lösung?
Ich arbeite gerne mit dem Paarmythos. Wenn man einander wieder in dieser tiefen Anziehung entdeckt, die von Beginn an da war. Jedes Paar hat ein Geheimnis miteinander, ein interessantes Spannungspotenzial. Wird das neu belebt, prickelt es wieder. Dafür braucht es einen offenen, wachen und neugierigen Blick auf den anderen.
Sie haben ein neues Buch geschrieben. Was hat es mit der „Wiederentdeckung der Berührbarkeit“ auf sich?
Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir uns mehr mit unserer Emotionalität auseinander setzen. Dort, wo wir innerlich gerührt sind und ins Schwingen kommen. Dann interessiert uns auch der andere wieder, was ihn bewegt und ausmacht und warum er so tut, wie er tut.
Sind Gefühle auf gewisse Weise unmodern geworden?
Leider ist der Raum für Gefühle, für Offenheit und Experimente in unserer Gesellschaft enger denn je. Die Freiheit, die wir haben, ist nur scheinbar. Die Digitalisierung fördert und fordert abstraktes Denken. Der Kapitalismus und die Industrialisierung haben uns zum Nutz-denken erzogen. Wir sind Macher. Und wir sind eine risikovermeidende Gesellschaft, wollen die Kontrolle. Das alles macht es nicht leichter, zu fühlen.