Science-Fiction-Dreh "Rubikon": Raumstation in Simmering
Von Alexandra Seibel
Die Zukunft sitzt im Herzen des barocken Wien. Im Palais Collalto, mitten in der Innenstadt, befinden sich die Räumlichkeiten der Architektur- und Design-Firma Wideshot. An jenem Ort, an dem Mozart sein erstes Konzert gab, werden heute reale und virtuelle Räume gestaltet.
Das Betätigungsfeld von Wideshot reicht vom Interior Design über Themenpark-Architektur zu Games und Filmausstattung. Designs für Roland Emmerichs Raumschiffe werden ebenso entworfen wie die Fassaden der BMW-Werke oder Themenhotels für Vergnügungsparks. Die Kundschaft von Wideshot reicht von der Computerspielbranche bis zu Hollywoods Unterhaltungsindustrie.
Johannes Mücke, einer der Gründer von Wideshot, gibt eine kleine Führung durch sein Büro, das aus drei zusammengelegten Altbauwohnungen besteht. Coronabedingt sind die Räume leer, vom Team der rund zwei Dutzend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist nichts zu sehen. Der Geist der Kreativität weht trotzdem deutlich sichtbar durch die Firma: Ein Fahrrad lehnt lässig an der Wand, am Boden liegen Matten mit Hantelscheiben. Räume tragen filminspirierte Namen wie „Fight Club“ oder „Shutter Island“; in Letzterem befindet sich auch die Hausbar.
Gagarin
Johannes Mücke ist spezialisiert auf Raumschiffe. Geboren 1976 in Leipzig, war er schon als Kind ein glühender Fan des russischen Kosmonauten Gagarin –„deswegen ist auch unser Firmenlogo der Helm von Juri Gagarin, dem ersten Mann im Weltraum“.
Ginge es nach Mücke, würde er sich noch heute ins All verabschieden: „Ich würde mich sofort bei Elon Musk (dem Elektroautohersteller Tesla, Anm.) und seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX für eine Mission zum Mars anmelden“, seufzt der studierte Architekt: „Space Travel ist mein größter Traum.“
Doch noch steht er mit beiden Beinen auf der Erde, konkret in Wien: Hier hat er zuletzt in der Simmeringer Panzerhalle am Design eines Raumschiffes gearbeitet, das in dem österreichischen Science-Fiction-Film „Rubikon“ die Hauptrolle spielt.
„Rubikon“ ist der Name einer Weltraumstation, in der im Jahre 2056 mehrere Wissenschafter an einem Algenprojekt arbeiten, das die Menschheit dauerhaft mit Nahrung und Sauerstoff versorgen soll. Plötzlich verschwindet die Erde in einem braunen, toxischen Nebel und der Kontakt zur Raumstation bricht ab.
„Rubikon“ ist das Regielangfilmdebüt der österreichischen Regisseurin Magdalena Lauritsch und soll Ende 2021 in die Kinos kommen.
„Ich beschäftige mich schon so lange mit Science-Fiction, dass ich viel Erfahrung mit Raumschiffen habe. Das heißt, ich habe mich ein bisschen in meiner Komfortzone befunden“, sagt Johannes Mücke, der bei den Dreharbeiten zu „Rubikon“ den Job des Szenenbildners übernommen hatte.
Raumschiff
Die lange Erfahrung mit Raumschiffen verdankt er nicht zuletzt dem deutschen Spektakel-Spezialisten Roland Emmerich, der ihn bereits im Jahr 2009 für das Design seines Weltuntergangsfilms „2012“ engagierte und für den er das Raumschiff „Moon Tug“ aus „Independence Day“ (2016) entwarf.
Die größte Herausforderung für den Raumschiff-Entwurf beim Wien-Dreh war dementsprechend weniger das Kreative, sondern das Budgetäre, „weil wir mit nur einem Fünfzigstel des Budgets eines Emmerich-Films, der rund 150 Millionen Dollar zur Verfügung hat, auskommen mussten.“ Doch der Ehrgeiz, trotzdem auf hohem, internationalen Niveau zu arbeiten, war enorm: „Wir haben uns gesagt: ‚Wir zeigen es allen! Wir können das!‘“
Zudem galt es, die Innenräume der „Rubikon“ abwechslungsreich zu gestalten: „Der gesamte Film spielt im Raumschiff. Das bedeutet, das nicht alles gleich ausschauen darf, sondern wir es schaffen müssen, immer wieder Welten aufzumachen.“
Johannes Mücke steht jetzt noch die Begeisterung ins Gesicht geschrieben. Science-Fiction zu erzählen, das bedeutet für ihn, „über extrem relevante, philosophische Themen nachzudenken wie ‚Wo gehen wir hin? Was dürfen wir? Welche moralischen Grenzen sollen wir nicht überschreiten?‘“
Das Schöne an Sci-Fi, sagt Mücke, besteht darin, dass man drängende Fragen anhand eine ganz konkreten „Was wäre, wenn...“-Situation durchspielen kann: „Was wäre, wenn, wie zum Beispiel in meinem Lieblingsfilm ‚Ex Machina‘, künstliche Intelligenz das Bewusstsein bekommt, uns manipulieren zu können und wir ihr untertan werden? Oder, wie in ‚Blade Runner‘: Was wäre, wenn wir Replikanten schaffen, die emotionale Bedürfnisse haben? Es gibt so viele Themen in Science-Fiction, die uns helfen, uns zu erklären.“
Auch in der gegenwärtigen Corona-Situation sieht Johannes Mücke spannenden Stoff für Sci-Fi: „Zum Beispiel, was die Impfung betrifft: Wie viel Egoist darf ich sein, und wie viel Verantwortung muss ich gegenüber der Gemeinschaft übernehmen, damit dieser Albtraum ein Ende hat? Das ist eine fantastische Science-Fiction-Frage. Allein daraus könnte man zehn Filme drehen.“
„Eigentlich war ich zu feige, um Künstler zu sein“, sagt Johannes Mücke, geboren 1976 in der DDR, über seinen Werdegang: „Ich wusste gar nicht, dass es die Möglichkeit gibt, im Film Designer zu sein.“
Sein Kunstlehrer sagte ihm eine Karriere als Comic-Zeichner voraus, „weil ich kleine Space Ships und Sci-Fi-Comics gezeichnet habe“. Tatsächlich übernahm er bei dem Computerspielpublisher Rockstar Games den Job des Art Directors und zeichnete viele Videospiele. Mücke studierte Architektur in Aachen, Los Angeles und an der Angewandten in Wien. 2010 gründete er gemeinsam mit anderen seine Firma Wideshot.
Im Jahr 2009 wurde er erstmals von Roland Emmerich angefragt, für dessen Weltuntergangsfilm „2012“ das Design zu machen.
Johannes Mücke drehte den Sci-Fi-Kurzfilm „UI – Soon we will all be One“ (2018) und beschäftigt sich am liebsten mit dem Thema der künstlichen Intelligenz.