Sommergespräch mit Tiefschlägen: Kickl als Bergfex in der "Propagandamaschine"
Von Peter Temel
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Ein großer Freund des ORF wird Herbert Kickl wohl nicht mehr. Beim "Sommergespräch" am Montag wurde das gleich zu Beginn von Interviewer Tobias Pötzelsberger aufgegriffen. Er begrüßte den FPÖ- Chef aufgrund des nasskalten Wetters im neuen ORF-Newsroom und stellte als Einstiegsfrage: „Herr Kickl, jetzt sind wir auf dem Küniglberg in Wien, Sie sind ja ein Bergfex, salopp gesagt, aber ich bin mir relativ sicher, das ist nicht Ihr Lieblingsberg in Österreich. Welcher ist es denn tatsächlich?“
Aus einer Lockerungsübung wurde also gleich ein erstes konfrontatives Thema. Kickl blieb aber noch beim Sportlichen: „Also am liebsten bin ich unterwegs im Gesäuse, man sagt immer, das ist die Universität des Bergsteigens, eine etwas verlassene Gegend mit weiten Zustiegen. Da ist man sehr, sehr einsam unterwegs, aber das ist ordentlich ausgesetzt, das ist kühn.“
Interviewerin Julia Schmuck fragte Kickl dann, wie denn sein täglicher Medienkonsum aussehe. Kickl süffisant: „Ich hoffe, dass das jetzt kein Schock ist für Sie, es ist weniger als Sie vielleicht vermuten, einfach deshalb, weil man ja selbst sehr viel dazu beiträgt, was an Inhalten zustande kommt und da ist dann das Bedürfnis, das alles noch einmal medial zu konsumieren nicht mehr so ausgeprägt wie vielleicht für jemand anderen.“
Aber offenbar konsumiert Kickl genug Nachrichten, um dem ORF etwas später vorzuwerfen, in seiner Pandemie-Berichterstattung „federführend als oberste Propagandamaschine beim Spalten der Gesellschaft beteiligt“ gewesen zu sein.
Pötzelsberger: „Herr Kickl, wir arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen …"
Kickl: „Ja, aber dann ist da nicht viel dahinter …“
„Pfff …“, meinte Pötzelsberger, „wir sind alle professionelle Journalisten, das sagen Sie, darüber will ich gar nicht debattieren.“
Das dritte Interview der heurigen ORF-"Sommergespräche" mit FPÖ-Chef Herbert Kickl haben im Schnitt 780.000 Zuseherinnen und Zuseher verfolgt. In Spitzen waren am Montagabend auf ORF 2 940.000 Personen mit dabei, teilte der ORF mit. Das Interview erreichte einen Marktanteil von 29 Prozent. Auch wenn das Interesse an den Antworten Kickls damit geringer als noch im Vorjahr war, handelt es sich um das bisher meistbeachtete Interview der "Sommergespräche" 2022.
Über die eigene politische Arbeit zum Thema Corona gab es hingegen Schalmeientöne: „Wenn es nach uns gegangen wäre, dann hätte es diese Gräben gar nicht gegeben. … Wir haben immer gesagt, machen wir doch gemeinsam einen Weg, der die Freiheit mit der Gesundheit in Verbindung bringt. Und der nicht den katastrophalen Fehler begeht, die beiden Dinge gegeneinander auszuspielen. Für diesen Vorschlag sind wir geprügelt worden, für diesen Vorschlag hat man mir vorgeworfen, ich hätte Blut an den Händen. Ich will die Leute alle ins Verderben stürzen. In Wahrheit wäre das der Weg gewesen, mit der Selbstbestimmung, jeder soll das machen, was er für richtig hält, wie bei jeder anderen Krankheit auch.“
In Zeiten der Omikron-Variante lässt es sich leicht so reden. Bei den Vorgänger-Viren hätte ein solches laissez-faire laut übereinstimmender Meinung der meisten Experten und Expertinnen zu einer Gesundheitskatastrophe geführt.
Grobe Aussagen
Aber die Feinheiten sind seit jeher Kickls Sache nicht. Und auch Pötzelsberger adressiert dessen Hang zum Groben und spielt ihm einen Auszug aus seiner Rede beim Tiroler Landesparteitag vor, mit derben Aussagen über Mitbewerbern und vor allem Mitbewerberinnen, die man am Liebsten gar nicht wiedergeben möchte. Da geht es um eine „Klima-Gouvernante“ und „Zwiderwurzn“, die er so wie Politikerinnen anderer Parteien am besten kompostieren sollte, denn diese hätten sich alle „hinter der Mumie in der Hofburg“ eingehängt.
„Spricht man so über Mitbewerberinnen und Mitbewerber, spricht man so über irgendjemanden eigentlich?“ fragt Pötzelsberger.
Kickl griff dann tief in die Mottenkiste des Polit-Instrumentariums und verwies einfach auf jemand anderen - ausgerechnet den ehemaligen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant, der ihn in einem Interview als „Mini-Goebbels“ bezeichnet hatte. Schon Jörg Haider, den Kickl später als größtes Vorbild pries, hatte sich an Muzicant in oft zitierter Weise abgearbeitet.
Pötzelsberger verwies darauf, dass Muzicant jetzt nicht da ist und sich nicht wehren könne.
Kickl: "Ja aber Sie sind da, Sie können ja erwähnen, dass das in den Medien Platz findet und das andere nicht.“
Pötzelsberger: „Nur weil es vielleicht wer anderer tut, weil jemand anderer etwas übersieht, heißt das ja noch lange nicht, dass Sie so agieren müssen. Heißt das ja noch lange nicht, dass Sie Mumie zu jemandem sagen.“
„Aber dann hätten Sie die Frau Meinl-Reisinger fragen können, beim letzten Mal, als sie bei Ihnen gesessen ist …“
„Das ist jetzt wieder wer anderer …“
„ … wie man auf die Idee kommt, jemanden als fetzendeppert zu bezeichnen und ähnliches.“
„Also es ist okay für Sie, so zu sprechen?“
Kickl: „Ich glaube, wir bleiben uns in der Politik nichts schuldig. Das ist sozusagen kein Austausch von Freundlichkeiten immer. Da geht es auch manchmal hart zur Sache. Was mir niemand auch von meinen politischen Mitbewerbern vorwirft, ist, dass ich auch nicht einstecken könnte. Also ich kann austeilen, aber ich kann auch einstecken. Aber, ich wünsche mir nur von Ihnen die 360 Grad-Sensibilität und die ist bei Weitem nicht gegeben.“
„Wir haben auch mit Frau Meinl-Reisinger über so einen Begriff gesprochen“, sagte Pötzelsberger.
Als er auf heimlich aufgezeichnete Gespräche mit FPÖ-Mitgliedern in der Affäre Jenewein angesprochen wurde, kramte Kickl sogar eine ORF-Abhöraffäre aus dem Jahr 2010 hervor, an die sich vermutlich nur noch hartgesottene Medienjournalisten erinnern können.
Man fragte sich erneut, ob Kickls Medienkonsum tatsächlich so gering ist, wie er gemeint hatte.
Die Ablenkungsstrategie funktioniert aber. Denn die gegenwärtigen Parteiturbulenzen moderierte Kickl im Sommergespräch recht leicht weg. Und die daran angeschlossene Frage nach dem gewünschten Prozentergebnis beim kommenden Parteitag ist eher ein Thema für Innenpolitikjournalisten.
Mini-Fragen
Bei den „Mini-Fragen“, bei denen kurze Antworten gefordert sind, lässt Kickl damit aufhorchen, dass ihn die Zigarettenpreise nicht interessieren, weil er nicht rauche. Das Rauchen war ja ein Thema, auf das sein Vor-Vorgänger - selbst Raucher - massiv gesetzt hatte. Dafür regt sich Kickl über das Gehalt des Bundespräsidenten auf und beim Thema Zugfahren meinte er: „Das ist schon sehr, sehr lange her“, denn er habe „kurze Wege, ich fahre viel mit dem Fahrrad, wahrscheinlich mehr als mancher Grüne.“
Selbst bei den privaten Fragen findet Kickl also Raum für Seitenhiebe. Und beim Klimathema rieb er sich dann - eigentlich aus heiterem Himmel - besonders stark an den beiden ORF-Journalisten.
"Frau Pötzelsberger"
Nachdem es ein bisschen hin und her ging, wie einschneidend der Klimawandel nun sei, erklärte Kickl: „Der Anteil Österreichs am weltweiten CO2-Ausstoß liegt bei 0,18 Prozent. Im Übrigen…"
Julia Schmuck hakte da schon ein: „Sehen Sie da nicht auch eine moralische Verantwortung, weil …“
Kickl sprach die Interviewerin nun als „Frau Pötzelsberger“ an, als er den Fehler bemerkte, sagte er: Ja, Frau Schmuck, Herr Pötzelsberger, na gut, das kann schon passieren bei Ihnen beiden.“
Eine tiefere Deutung dieser mehr als uncharmanten Entschuldigung lassen wir unterbleiben.
Kickl drehte weiter auf: „Wissen Sie, wir haben jetzt eine Möglichkeit. Wir können jetzt das Gespräch so führen, dass Sie versuchen, einen Rekord beim Unterbrechen herzustellen, das ist eine Möglichkeit. Oder wir können es so führen, dass Sie die Fragen stellen und ich gebe die Antworten.“
Die Engelsgeduld, die die beiden Interviewer an dieser Stelle an den Tag legten, muss hervorgehoben werden. Pötzelsberger meinte nur: „Wenn Sie eine Kurve nehmen und ausschweifen, dann erlauben wir uns auch, manchmal zu unterbrechen.“
Tiefschlag
Kickl war nun kaum mehr einzufangen. Er sagte: „Die Alternative ist dann, dass Sie sich gegenseitig interviewen, dann kriegen Sie die Fragen und die Antworten, die Sie gerne hätten, aber ich fürchte, dass das niemand interessiert."
Ein weiterer Tiefschlag - und Tiefpunkt.
Er blieb bei seinem zuvor geäußerten „Vorschlag, dass das ein gelungenes Interview wird.“
Pötzelsberger: „Und unser Vorschlag wäre, dass wir noch einmal darauf hinweisen, dass der CO2-Ausstoß pro Kopf natürlich schon sehr hoch ist in Österreich - gleichauf mit China, höher als der Weltdurchschnitt."
Kickl sprach vom „Vorteil bei Statistiken, dass man sie drehen und wenden kann, wie man will“, immerhin gestand er Pötzelsberger zu, „gut recherchiert“ zu haben, weil dieser eine steigende Erwärmung in den letzten hundert Jahren festgestellt habe, „die es ja gibt“.
Als er sich fürs Fracking-Gas aus dem Weinviertel aussprach, erklärte Kickl, dass dies fürs Trinkwasser nicht gefährlich sei, weil es viel tiefer liege als in den USA, „vielleicht bestätigt Ihnen das der Mann im Horcherl …“
„Da ist kein Mann im Horcherl, Herr Kickl“, sagte Pötzelsberger.
Was Kickl zur Teuerung und zur Ukraine-Krise sagte, können Sie in unserer inhaltlichen Zusammenfassung lesen (siehe unten). Zumeist sagte Kickl, was er nicht machen würde - etwa die Russland-Sanktionen -, neue Konzepte waren eher dünn gesät.
Zeitreise Richtung Zukunft?
Widmen wir uns hier lieber den nächsten „Mini-Fragen“. Ob er schon Reiten gelernt habe, wurde er gefragt.
Kickl: „Das hat sich erübrigt, ich gehe lieber Bergsteigen.“
Überrascht zeigten sich dann Schmuck und Pötzelsberger, dass Kickl in einer Zeitmaschine am liebsten den Vorwärts- und nicht den Rückwärtsgang einschalten würde. „Nach vorne?“
Schmuck richtete den Blick aber nicht zehn Jahre in die Zukunft - was Kickl so interessieren würde - sondern in diesen Herbst, in dem die Bundespräsidentenwahl ansteht. Was denn mit Walter Rosenkranz’ Spruch „Holen wir unser Österreich zurück“ eigentlich gemeint sei. „Ohne Ausländer, ohne EU-Mitgliedschaft zum Beispiel?“
Kickl vergewisserte sich noch, ob das eh keine „Mini-Frage“ sei. Er konnte also länger antworten.
Am Ende dieses Blocks sagte er dann: „Ja, ich weiß nicht, ob alles, was in der Vergangenheit gewesen ist, so schlecht ist.“
„Das weiß ich auch nicht“, sagte Pötzelsberger.
Jetzt fragte man sich schon, in welche Epoche Kickl nun mit dieser Aussage reisen würde.
„Ich sehne mich manchmal nach der Normalität, wie ich sie bis vor zwei Jahren gekannt habe, zurück“, sagte er.
Also eine Zeit vor Corona? Oder eine Zeit, als er noch Innenminister war und noch Reiten lernen wollte?
Es folgten nun seltsam verbindliche Worte über die Ära Kreisky, einer aktiven Neutralitätspolitik, über wichtige Wiener Abrüstungsverhandlungen.
Weinen vor Lachen
Schmuck richtete am Ende zwei Lebensfragen an Kickl, es soll um die „großen Dinge“ gehen. „Wann haben Sie denn zuletzt geweint?“
Bei solchen Fragen atmen Politiker sonst immer tief durch und müssen sich erst irgendetwas Heimeliges überlegen.
Kickl aber antwortete postwendend: „Vor lauter Lachen, als ich ‚Stan & Ollie‘ gesehen habe.“
Jetzt wissen wir endlich erschöpfend über den Medienkonsum des FPÖ-Chefs Bescheid.
„Und was macht Sie richtig glücklich?“ fragte Pötzelsberger. „Ist vielleicht dieselbe Antwort dann …“
Nein, es sind nicht Stan & Ollie. Sondern: „Wenn ich ein Ziel, das ich mir gesetzt habe, erreiche. Zum Beispiel, wenn es mir gelingt, eine schwierige und nicht ungefährliche Wand erfolgreich zu durchklettern.“
Ob damit an diesem Abend der Küniglberg gemeint war, wurde nicht mehr geklärt.