Der Prototyp des Journalisten
Von Martina Salomon
Hugo Portisch zu treffen: Das war immer ein Vergnügen. Auch deshalb, weil er so herzlich lachen konnte. Und weil ich nie einen unzynischeren Kollegen kennengelernt habe. Nie einen wie ihn, der so durch und durch an Österreich, an Europa und auch an den Journalismus glaubte. Auch nie jemanden, der Geschichte so spannend darstellen konnte. Er hat ganz Österreich mit seiner gesten- und pointenreichen Art dazu gebracht, was die Schule oft nicht schaffte: Interesse an der eigenen Geschichte zu wecken. Selbst im hohen Alter blieb er ein Quell der Geschichte und Geschichten. Natürlich war er dadurch auch ein Fundus an Anekdoten über legendäre Altpolitiker. In einem Interview verriet er mir sogar, wie er als einstiger Mitarbeiter des österreichischen Informationsdienstes in New York in den Fünfzigerjahren ein Gespräch des österreichischen Kanzlers Julius Raab fingiert hatte – und zwar gemeinsam mit dessen Sekretär. „Österreich auf der Seite eins der New York Times – ein Riesenerfolg“ schwärmte Portisch viele Jahrzehnte später lachend. Raab (der nicht Englisch konnte und überhaupt keine Interviews gab) wunderte sich nicht einmal darüber. Im letzten Interview, das er mir im Oktober gab, plädierte er dafür, Russland als europäisches Land zu sehen.
Wahrheit, Lust und Arbeit
Sein Vermächtnis als Chefredakteur schwebte und schwebt über uns allen. Ich mochte seine Sprüche über unsere Branche. Zum Beispiel: „Im Journalismus muss viel Lust und Arbeit stecken.“ Oder: „Unsere stärkste Waffe ist die Wahrheit.“ Ja, da hatte Portisch recht. Wobei er selbst aus einer Medien-Zeit stammte, wo noch keiner über Fake-News schimpfte, das gedruckte Wort Gewicht und Chefredakteure unbestrittene Deutungshoheit besaßen. Portisch wagte sich aus dem Elfenbeinturm heraus. Er benutzte das „demokratische“ Mittel Fernsehen, um nicht von oben herab zu dozieren, sondern Kompliziertes in verständlicher Sprache zu erklären. Logisch, dass da auch bald der Lockruf der Politik erschallte. Aber wer von seiner journalistischen Mission so erfüllt war wie er, konnte natürlich nicht einfach die Seite wechseln. Auch wenn das höchste Amt lockte, das die Republik anbieten kann.
Portisch war vom Kalten Krieg geprägt, daher empfand er die zunehmende politische Polarisierung als falsch und plädierte eindringlich dafür, unseren Frieden nicht für selbstverständlich zu nehmen. Gegen die Orientierungslosigkeit und das schwindende Geschichtsverständnis veröffentlichte er 2011 „Was jetzt“. Das Büchlein wurde ein riesiger Erfolg. Wieder einmal erklärte er die europäische Welt – das sollte auch dieser Tage Pflichtlektüre für alle Schüler sein.
Als bekennender Freund der USA litt Portisch unter Donald Trump. Da konnte der sonst stets Optimistische wütend werden. Portisch war ja international viel unterwegs gewesen, er war das Gegenteil eines „Schreibtischtäters“. Und er liebte die Medienwelt bis zuletzt. Selbst seine zunehmende Gebrechlichkeit hinderte ihn nicht daran, sich mit Journalisten aller Medien zu treffen und auch unseren KURIER-Tag der offenen Tür zu besuchen. Zur Größe gehören auch Fleiß und Disziplin. Er liebte die Medien, und wir verneigen uns vor ihm. Die Legende lebt.